Ig Nobelpreis

Wie aus 80 Millionen Bundestrainer 80 Millionen Virologen wurden

Von viel Meinung und wenig Ahnung

Eigentlich wollte ich das, was man “tagesaktuell” nennt, ja aus meinem Blog raus halten, eigentlich. Denn momentan wundert sich neben mir sicher auch der ein oder andere da draußen, wie es passieren kann, dass plötzlich aus 80 Millionen Bundestrainer wahlweise 80 Millionen Virologen oder Verfassungsrechtler werden konnten. Wären die Auswirkung nicht so tragisch, dass renommierte Virologen wie Christian Drosten Morddrohungen bekämen, oder dass die vermeintliche Mitte der Gesellschaft, womöglich verkleidet als besorgte Eltern oder passionierte Verfassungsrechtler, sich mit eindeutig rechtsradikalen Verfassungsfeinden gemeinsam auf die Straße stellen, würde ich das alles ja in einer kleinen Meditation an mir vorbeiziehen lassen. Aber so, wie es ist, lässt es mich nicht mehr los.

Studierte Naturwissenschaftler, deren absolutes Spezialgebiet Coronaviren sind, werden nicht nur angefeindet, nein, viel mehr gibt es Menschen ohne jedes medizinische Hintergrundwissen, die fest davon überzeugt sind, sich mit dem Coronavirus besser aus zu kennen, als Christian Drosten und Co.! Dass die Bild-Zeitung diesen Umstand auch noch zur Steigerung der eigenen Auflage nutzt und damit wirklich niemanden außer sich selbst einen Gefallen tut, dazu möchte ich besser gar nichts sagen. Sieht man doch hier mal wieder, wie gefährlich Zeitungen sein können: eine Kakerlake überlebt einen Atomkrieg, aber mit einer Tageszeitung kann man sie tot schlagen…

“Der kleine Gott der Welt ist stets vom selben Schlag…” Mephisto

Ich möchte den Menschen gerne verstehen, aufrichtig und ehrlich. Ich möchte verstehen, warum der Mensch so ist wie er ist, wertfrei und im positivsten Sinne. Wie unterschiedliche Menschen zu unterschiedlichen Meinungen kommen, das habe ich verstanden, darüber habe ich auch wiederholt geschrieben. Meine Erkenntnisse haben dazu geführt, dass ich andere Meinungen gelernt habe wertzuschätzen und zu akzeptieren. Das fühlt sich im allgemeinen gut an. Jedoch habe ich das Gefühl, dass in Hinblick auf Corona und den damit zusammenhängenden Maßnahmen der Politik aus Meinungen Dogmen geworden sind, Dogmen ohne jede wissenschaftliche Basis. Ich würde es gerne Verschwörungstheorien nennen, allerdings haben Theorien für gewöhnlich eine (wissenschaftliche) Substanz.

OK, genug geschimpft und Dampf abgelassen. Zurück zu meinem Thema: der Mensch. Ich möchte hier auch aus tiefstem Herzen voranstellen, dass ich davon überzeugt bin, dass der Mensch an sich nicht verkehrt ist. Die Evolution hat uns schon ganz OK hervorgebracht, allerdings bringen uns vor allem Ängste dazu, sonderbare Dinge zu tun, Dinge die rational nicht immer nachvollziehbar sind. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Ängste allein nicht erklären können, weshalb so viele Menschen momentan nicht nur ein Meinungsbild so offensiv vertreten, dass es mir manchmal weh tut, sondern auch noch wider wissenschaftlicher Beweise unbeirrbar bei ihrer Meinung und ihrem Verschwörungs-Wirrwarr bleiben.

Wissenschaft, die ein Lachen hervorzaubert

Auf meiner Suche nach Antworten bin ich tatsächlich in der Psychologie fündig geworden und das auch noch auf höchst amüsante Weise. Wer also glaubt, Wissenschaft sei langweilig, der sollte auf jeden Fall weiterlesen!

Schon mal etwas vom sogenannten Dunning-Kruger-Effekt gehört? Ich zitiere an dieser Stelle aus Wikipedia, weil es einfach köstlich ist: “Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet als populärwissenschaftlicher Begriff die kognitive Verzerrung im Selbstbildnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen. Diese Neigung beruht auf der Unfähigkeit, sich selbst mittels Metakognition objektiv zu beurteilen. (..)”. Selten so gelacht, ehrlich, köstlich, diese Beschreibung. Wenn ich also so eingeschränkt in meinem fachlichen Wissen bin, dass ich noch nicht einmal merke, wie eingeschränkt mein Wissen ist, kann es sein, dass ich so fest in meiner Meinung festhänge, dass ich selbst ausgewiesene Experten für ahnungslos halte! Also quasi das Gegenteil von Soraktes’ “Ich weiß dass ich nichts weiß”.

Aber mal von vorne: der Dunning-Kruger-Effekt geht auf zwei Sozialpsychologen, David Dunning und Justin Kruger, der Cornell University bei New York zurück, die diesen Effekt erstmals 1999 in einer Publikation erwähnten. Im Rahmen von Studien stellten die beiden Sozialpsychologen fest, dass zum Beispiel beim Schachspielen, Autofahren oder dem Erfassen von Texten Unwissenheit oft zu deutlich mehr Selbstsicherheit führt, als Wissen. Insgesamt fassten sie ihre Forschungsergebnisse folgendermaßen zusammen: fachlich weniger kompetente Menschen (die unter Dunning-Kruger leiden, oder viel mehr sehr glücklich damit leben!) neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten konsequent zu überschätzen, überlegene Fähigkeiten und tatsächliche fachliche Kompetenz bei anderen nicht zu erkennen und das Ausmaß der eigenen Inkompetenz nicht einschätzen zu können. Bahnbrechend finde ich in diesem Zusammenhang den Therapievorschlag: Bildung!

Im Laufe der Zeit wurde die Forschung hinsichtlich des Dunning-Kruger-Effekts immer weiter getrieben. Achtung, hier wird es noch ganz besonders unterhaltsam: 2001 stellten die beiden Herren nämlich fest, dass sie ihre gesamte Grundlagenforschung ausschließlich an Nordamerikanern durchgeführt haben und stellten sich deshalb die völlig berechtigte Frage, ob es hinsichtlich des Dunning-Kruger-Effekts eventuell kulturelle Unterschiede geben könnte. Aus diesem Grund führten man im Jahr 2001 eine Studie in Japan durch und kam zu dem Ergebnis, dass Japaner eher dazu tendieren, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen und Misserfolge als Anlass nehmen, besser zu werden um so ein wertvolleres Mitglied der Gesellschaft zu werden.

Klar könnte man jetzt sagen, dass dieser Dunning-Kruger-Effekt eine Art nordamerikanische Persönlichkeitsverwirrung ist. Ich persönlich finde tatsächlich, dass der US-amerikanische Präsident ein formidables Beispiel für das fortgeschrittene Stadium dieser Erkrankung sein könnte. Aber so einfach ist es wohl auch nicht. So wurde der Dunning-Kruger-Effekt in kognitionswissenschaftlichen Publikationen benannt, die sich mit der konsequenten Leugnung der menschgemachten globalen Erwärmung beschäftigen. Ich weiß, führt uns auch wieder zu Trump, aber gibt es ja wohl auch in Deutschland. Also scheint dieses Phänomen, wissenschaftliche Erkenntnisse konsequent zu leugnen, nichts neues zu sein, allerdings scheinen die Ängste, gesundheitliche wie wirtschaftliche, die Corona hervorruft, wie ein Katalysator zu wirken. Angst ist eben einfach nicht gut für uns Menschen. Wir stellen also fest, wollen wir, dass wir selbst, oder die Menschen um uns herum gute oder sehr gute Leistungen erbringen, oder einfach nur “normal” funktionieren, müssen wir für eine angstfreie Atmosphäre sorgen. - Nur mal so am Rande!

Sind wir nicht alle ein bisschen Dunning-Kruger?

Einen kleinen abschließenden Fun Fact zu Dunning-Kruger habe ich noch im Petto: Im Jahr 2000 erhielten die Herren Dunning und Kruger für ihre Studien den Ig-Nobelpreis für Psychologie. “Ig” steht in diesem Fall für “ignorable” und diese Art Anti-Nobelpreis, vergeben an der Harvard-Universität, ist eine satirische Auszeichnung für wissenschaftliche Leistungen, die einen erstmal zu Lachen und dann zum Nachdenken bringen. Und ich finde nachdenken schadet uns allen nicht! Ich jedenfalls werde mich zukünftig vielleicht einmal fragen, ob ich nicht ein kleines bisschen Dunning-Kruger haben könnte, wenn ich mich mal wieder ganz besonders fest in eine Meinung reinmanövriert habe. Ist doch alles menschlich!

Eure Constance

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Weiß ich dass ich nichts weiß?

Oder weiß ich alles besser, weil ich nichts weiß?