Gesellschaft

Das Toilettenpapier-Dilemma: Warum bewusste Selbstführung eben doch verdammt schwer sein kann

Hilfe ich habe Corona… Nee, warte… Doch nicht…

Heute schreibt euch die stolze Besitzerin von 24 Rollen Toilettenpapier! Ich würde sagen, Weihnachten kann kommen… Ich weiß, in meinem ersten Corona-Blog habe ich mich intensiv gefragt, was Menschen dazu treibt, Toilettenpapier zu horten. Jetzt weiß ich es. Ich fange mal von vorne an, denn Corona ist mir in dieser Woche ganz schön auf die Pelle gerückt.

Mitte dieser Woche klingelt morgens das Telefon, es war ein Freund, dessen Sohnemann ich vor einigen Tagen bei ihm zuhause zum Spielen besucht habe. Es gibt nichts Bereichernderes als die unverfälschten Gedankengänge eines Vierjährigen. Nun war der Papa, den ich bei meinem Besuch auch gesehen habe, Covid-positiv getestet, was gegenwärtig ja recht negativ ist. In dem Moment, in dem er das am Telefon ausgesprochen hatte, verspürte ich selbstverständlich spontan Halsschmerzen. Es folgte wilder Aktionismus, ich wusste nämlich so gar nicht, was ich jetzt zu tun hatte. OK, ich habe erstmal alle Termine abgesagt und meine geplanten Präsenz-Schulungen diese Woche an einen Trainerkollegen weitergegeben. Danach kam wieder Hilflosigkeit in mir hoch. Ich wollte Fakten schaffen und am liebsten sofort einen Test machen. Das ist leider nicht so einfach. Ich telefonierte wild umher und hörte gefühlt mindestens zwei Mal zu oft Sätze wie “also so richtig wissen wir auch nicht, wie das jetzt weitergeht”. Erlösung erhoffte ich mir, als ich beim Gesundheitsamt endlich ein Freizeichen hatte. Meine Heldin am anderen Ende der Leitung war eine wirklich sympathische junge Frau. Leider folgte die Ernüchterung postwendend, denn auch sie konnte mir nicht das liefern, was ich mir am sehnlichsten wünschte: jemanden, der mir in dieser unbekannten Situation sagt, was zu tun ist. Testen lassen könne ich mich erst, wenn der Erkrankte die Kontaktliste eingereicht habe und diese abgearbeitet sei. Das könne bis zu zwei Tage dauern. Und bis dahin? Bis dahin müsse ich entscheiden, wie ich mich verhalte! Toll! Und wie soll ich mich jetzt verhalten? Ich merkte, wie ich am Telefon allmählich den Druck erhöhte. Die arme Frau. Druck erhöhen kann ich ganz gut. Es half aber alles nichts. Das Telefonat war beendet und ich musste selbst entscheiden, was nun sinnvollerweise zu tun ist. Erstmal auf die Quarantäne vorbereiten und die Vorräte auffüllen. Es entstand eine Einkaufsliste, die mir bis heute Freude macht und selbstverständlich musste noch eine Extraportion Toilettenpapier her. Es waren zwar noch zwölf Rollen im Vorratsschrank, aber ich war in meiner Machtlosigkeit der Meinung, dass man Toilettenpapier ja immer brauchen kann, es wird nicht schlecht und überhaupt ist es besser, Toilettenpapier zu kaufen, als sich wehrlos dem Schicksal zu ergeben.

Den restlichen Tag versuchte ich ruhig zu bleiben und mich abzulenken, indem ich einen mir sehr wichtigen Online-Termin am nächsten Tag vorbereitete. Funktionierte ganz gut. Ich habe zwischenzeitlich sogar das Halskratzen vergessen. Am Abend klingelte wieder das Telefon. Erneut der Papa meines Spielkameraden, der mir erklärte, dass ich ihn kurz vor dem ermittelten Ansteckungsfenster gesehen habe und deshalb raus sei aus der Nummer. Kein Test, keine Quarantäneanordnung! Großartig. Das Halskratzen war auch sofort weg. Interessant dachte ich noch, verabschiedete mich von meinem Freund, wünschte gute Besserung und freute mich, dieses Mal fein raus zu sein. Trotzdem kreiselte es in meinem Kopf weiter. Wie genau ist das denn nun mit diesem Ansteckungsfenster? Und was wenn das doch nicht ganz gestimmt hatte… Schon wieder hilflos und schon wieder sagt einem keiner was richtig und falsch ist. Ich habe schließlich für mich entschieden, mich in den nächsten Tagen zurückzuziehen, die geplanten Schulungen durch meinen Kollegen durchführen zu lassen und meinen Hals zu beobachten, obwohl ich eigentlich hätte postwendend zur Normalität zurückkehren können. War das jetzt panisch oder übervorsichtig, oder einfach nur vernünftig? Keine Ahnung! Es war meine Art in dieser Situation Verantwortung zu übernehmen.

Zwei Tage später klingelte gegen Abend wieder das Telefon. Es war die nette Dame vom Gesundheitsamt, die sich bei unserem ersten Gespräch meine Daten aufgeschrieben hatte und sich nochmal melden wollte, weil sie mich auf keiner der Listen gefunden hat. Ich erklärte ihr kurz die Situation und sagte abschließend, dass ich kein Fall für sie sei. Sie musste lachen und meinte nur, ich wisse gar nicht, wie gerne sie das gerade höre. In dem Moment wurde mir klar, dass unser System in Anbetracht des großen Chaos doch recht gut funktioniert. Was nicht fehlerfrei funktioniert hat, war in meinem Fall der Mensch, also ich…

“Es ist leichter, zum Mars vorzudringen als zu sich selbst.” C. G. Jung

Als ich schließlich einen Tag später damit angefangen habe, über Corona und mich selbst nachzudenken, bin ich über dieses Zitat des Begründers der analytischen Psychologie gestolpert und dachte mir nur, wie recht er hat. Betrachte ich die Dinge aus einer Metaebene, wirkt alles immer so klar. Ich weiß nicht wie oft ich schon über New York geflogen bin und mir dachte, wie ordentlich und strukturiert diese Stadt von oben aussieht und unten, mitten auf dem Times Square, muss ich aufpassen, nicht verloren zu gehen. Ähnlich geht es mir mit den Menschen. Von außen betrachtet scheint so vieles klar zu sein, steckt man selbst im Chaos, geht die Klarheit schnell verloren. Der Schlüssel dazu, sich nicht zu verlieren, ist bewusste Selbstführung. Hört sich erstmal ganz einfach an, wenn das Leben jedoch passiert, ist es oft so, dass unbewusste, uralte Mechanismen übernehmen und wir uns nicht mehr selbst führen, sondern nach externer Führung suchen. Damals, in der Höhle war das durchaus sinnvoll, heute brauchen wir das nicht mehr. Heute tragen wir alle Ressourcen, die uns erfolgreich machen, in uns. Spätestens seit der Aufklärung sollte uns das klar sein. “Sapere aude!” postulierte der große Immanuel Kant. Und Recht hatte er. Es bedarf Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, führt es doch zwangsläufig irgendwann dazu, sich über sich selbst Gedanken zu machen. Aber leider bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Mut aufzubringen, denn diese Panikreaktionen sind in Hinblick auf Toilettenpapier ziemlich dämlich, in anderen Situationen können sie durchaus gefährlich werden. Außerdem sind sie anstrengend und kosten viel Energie.

Das Hirn umpolen… Was bitte?

Um die bundesdeutschen Toilettenpapiervorräte und unsere Nerven zu schonen, ist es also sinnvoll, unserem Gehirn dabei zu helfen, in der modernen, aufgeklärten Welt anzukommen, damit wir uns zukünftig bewusst selbst führen können. Hierzu ist es im ersten Schritt wichtig, eigene kognitive Muster zu erkennen und sie im zweiten Schritt zu durchbrechen. Hilfreich hierbei kann die sogenannte ABC-Theorie von Albert Ellis sein.

Ellis’ Theorie liegt zugrunde, dass wahrgenommene Reize unbewusst bewertet werden und diese Bewertung schließlich die Ursache für daraus abgeleitetes Verhalten ist.

  • A steht hierbei für den auslösenden Reiz (in meinem Fall für diesen Corona-Anruf).

  • Aus A resultiert B, die Bewertung, die in meinem Fall zunächst unbewusst und irrational abgelaufen ist. Mein Hirn hat sich sofort in einen Zustand größter Bedrohung katapultiert. Mein Gehirn dachte, ich habe Corona. Deshalb musste mir ja auch der Hals wehtun!

  • B führt zu C, den Konsequenzen (engl. Consequences), sowohl auf emotionaler, als auch auf Verhaltensebene. Auf emotionaler Ebene habe ich mich überrumpelt und hilflos gefühlt, was zum einen dazu geführt hat, dass ich intensiv nach jemanden gesucht habe, der mir sagt, was zu tun ist. Zudem habe ich versucht aktiv zu bleiben und etwas vermeintlich Sinnvolles zu tun. Jetzt habe ich 24 Rollen Toilettenpapier!

  • Während ich also vor meinen 24 Rollen Toilettenpapier saß, kam bei mir die Frage auf, ob das wirklich klug war. Wir sind bei Ebene D, dem Infrage stellen (engl. Disputation). Natürlich habe ich recht schnell verstanden, dass der bloße Anruf meines Freundes noch lange nicht bedeutet, dass ich für die nächsten vierzehn Tage auf mich alleine gestellt eingesperrt sein würde. Außerdem erkannte ich, dass ich niemanden brauche, der mir sagt was zu tun ist, weil ich das selbst ausgesprochen gut hinbekomme. Ich kann das mit dem Übernehmen von Verantwortung, eigentlich! Verdammt, was ist da nur passiert?

  • Diese Frage führte mich schließlich zu E, dem Effekt, der zur kognitiven Umstrukturierung führt. In meinem Fall war der Effekt, dass ich mich recht lächerlich mit meinen 24 Rollen Toilettenpapier gefühlt habe und als die nette Dame vom Gesundheitsamt ein zweites Mal angerufen hat, war ich irgendwie etwas kleinlaut, weil es mir inzwischen ein ganz kleines bisschen unangenehm war, dass ich bei unserem ersten Telefonat Anweisungen erwartet habe, die ich nur mir selbst hätte geben können. Mein Verhalten in einer unklaren Situation (in der es keine eindeutigen Vorschriften gibt) liegt in meiner Verantwortung. Punkt!

  • Deshalb geht es zurück zu B, jetzt eben B2. Ich habe gelernt, dass es zielführender ist, beim nächsten Mal die Situation rational und logisch zu bewerten, um auf C2 eben auch mit angemessenen Emotionen ein zielförderliches Verhalten an den Tag zu legen und eigenverantwortlich klare Entscheidungen zu treffen. Vor allem aber habe ich gelernt, dass ich keine Angst davor haben muss, eigenverantwortlich und bewusst zu entscheiden und zu handeln, weil das daraus resultierende Ergebnis einfach besser ist, als das Resultat emotionaler und aus Unsicherheit geprägter Übersprunghandlungen. Diese undurchdachten Bewertung resultieren übrigens aus unseren Erfahrungen, unserer Erziehung, unseren Glaubenssätzen und so weiter uns sofort. Also aus Faktoren, die aus unserer Vergangenheit resultieren und mit der aktuellen Situation nicht allzu viel zu tun haben. Unser faules Gehirn macht es sich eben gerne leicht. Wenn es nicht unbedingt sein muss, bewertet man nicht die wirklich aktuelle Situation, sondern greift lieber auf Altbekanntes zurück, obwohl in einer komplexen Welt keine Situation einer bereits erlebten gleicht…

Also einfach das Bewertungssystem auf Reset stellen

Liest sich wahrscheinlich ganz einfach. Eine konsequente Umbewertung ist jedoch ein Prozess der Zeit braucht. Der Weg hin zu bewusster Selbstführung ist lang, aber lohnend, weil auf dessen Zielgerade ganz viel Ruhe und Gelassenheit winken. Hinzu kommt, dass irrationale Bewertungen (beruflich wie privat) in unserer komplexen und dynamischen Welt oft deutlich fatalere Folgen als ein Schrank voller Toilettenpapier haben. Wer erfolgreich sein möchte, wer andere erfolgreich führen möchte, muss im ersten Schritt lernen, sich selbst zu führen. Und das geht nicht, ohne sich mit sich selbst und seinen eigenen Werten oder Bewertungen zu beschäftigen, denn sie bestimmen unser Fühlen und Handeln. Ein Coach kann hierbei Hilfestellung leisten, den Weg ein wenig zu beleuchten. Gehen muss man diesen Weg jedoch allein, eigenverantwortlich, weil wir die Verantwortung für unser Handeln tragen. Klar gibt man uns einen gewissen Handlungsspielraum. Diesen gibt uns zum Beispiel der Staat durch Gesetze vor, der Arbeitgeber durch Verträge und Regeln und wir uns selbst durch Normen. Allerdings muss uns bewusst sein, dass das Leben auf allen Ebenen so komplex und dynamisch geworden ist, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir im Rahmen dieser Vorgaben das tun, was Kant uns schon 1784 ans Herz gelegt hat: nämlich den Mut uns unseres Verstandes zu bedienen und eigenverantwortlich zu entscheiden und zu handeln. Und eh das hier in eine falsche Richtung geht, sei abschließend noch erwähnt: mein Verstand sagt mir, dass ein studierter Virologe fundierteres Expertenwissen in Hinblick auf Pandemien hat, als Köche, YouTuber und anderen Verschwörungstheoretiker. Denn Verantwortung bedeutet nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen zu tragen. Das nennt man Solidarität.

Eure Constance

PS: All jenen, die sich etwas intensiver mit dem ABC-Modell und ihrem eigenen Bewertungssystem auseinandersetzen möchten, ohne sich einen Coach leisten zum müssen, lege ich H.H. Stavemanns Buch “… und ständig tickt die Selbstwertbombe” sehr ans Herz. Natürlich ist diese Werbung unbezahlt. Das Buch ist für den “Endverbraucher” geschrieben und beinhaltet auch zum ABC Modell Arbeitsblätter und Denkanstöße, die einem den Weg durch sein eigenes Bewertungssystem ein wenig beleuchten.

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Wenn Emotionen hochkochen verschiebt sich das Wertesystem

Toilettenpapier: auf jeden Fall eine gute Investition

Zum Jahrestag der Erstürmung der "Landshut": Terrorismus oder das Ende des Miteinanders

Der Deutsche Herbst

Wer die Ereignisse des Deutschen Herbstes kennt und auch hinsichtlich der Entführung der Landshut einen groben Ablauf im Kopf hat, darf getrost zur nächsten Zwischen-Überschrift weiterspringen. In meinen Schulungen in der Luftfahrt, in denen “die Landshut” noch immer Thema ist, stelle ich gerade bei der Generation unter vierzig immer wieder fest, dass diese Phase der deutschen Geschichte nicht wirklich präsent ist. Deshalb hier ein ganz kurzer Abriss der Ereignisse. Vorweg sei gesagt, dass ich keine Historikerin bin und die von mir dargestellten Ereignisse keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben.

Wir schreiben das Jahr 1977. Deutschland wird schon seit mehreren Jahren vom linksradikalen Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) außer Atem gehalten. Zwar sitzt die Führungsriege der sogenannten ersten Generation der RAF im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim in Haft, allerdings hat sich inzwischen eine zweite Generation linksradikaler Terroristen zusammengefunden, die mit Unterstützung der palästinensischen Terrororganisation Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) weiterhin Terror ausübte. Im Herbst des Jahres 1977 sollten die gemeinsamen Bemühungen ein Ziel haben: die Freilassung der Führungsriege der ersten Generation (darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Rasper und Irmgard Möller). Mit diesem Ziel vor Augen stürzten sie Deutschland zwischen September und Oktober 1977 in eine der schwersten Krisen des Landes. Die Bezeichnung Deutscher Herbst leitet sich übrigens von einem Dokumentarfilm ab, der ein Jahr später erschienen ist. Aber was war passiert? Im Frühjahr und Sommer des Jahres 1977 erschossen RAF Kommandos bereits den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Vorstandssprecher der Dresdner Bank Jürgen Ponto. Außerdem scheiterte ein Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die heiße Phase des Deutschen Herbstes begann am 5. September mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidents Hans Martin Schleyer in Köln. Die Entführer drohten mit dessen Ermordung und forderten die Freilassung von insgesamt elf RAF-Mitgliedern. Nachdem sich die Entführung Schleyers bereits drei Wochen hinzog und die Bundesregierung unter Helmut Schmidt klar machte, die Forderung nicht zu erfüllen, bot die PFLP ihre Hilfe an und schlug der RAF zwei Szenarien vor: entweder eine Geiselnahme in der Deutschen Botschaft in Kuwait oder die Entführung einer Lufthansa Maschine auf dem Weg von Mallorca nach Deutschland. Die Entscheidung ist uns allen bekannt und so nahmen die Ereignisse am 13. Oktober 1977 ihren Lauf: ein vierköpfiges Terrorkommando (zwei Männer, zwei Frauen) schmuggelten, versteckt in Kosmetikköfferchen und in einem Radio, zwei Pistolen, vier Handgranaten und etwa 500g Sprengstoff an Bord des Lufthansafluges LH181. Unterwegs war die Lufthansa an diesem Tag mit einer Boeing B737 namens Landshut.

In französischen Luftraum übernahm das Terrorkommando die Kontrolle über die Maschine. Man wollte nach Zypern, musste jedoch in Rom zwischenlanden, da das Kerosin nicht reichte. Schließlich in Zypern angekommen, vermittelte die PLO und es sollte in den Libanon weitergehen. Da die Flughäfen von Beirut, Damaskus, Bagdad und Kuwait gesperrt waren, ging es jedoch über Manama nach Dubai. In Dubai gelang es dem Kapitän der Landshut, Jürgen Schumann, Informationen bezüglich der Entführer nach draußen zu geben. Leider teilte das der Vizepräsident der Vereinigten Arabischen Emirate so auch im Fernsehen mit. Davon erfuhren die Entführer und drohten Kapitän Schumann das erste Mal mit dessen Erschießung. Nach drei Tagen ohne Klimaanlage in der Sonne Dubais sollte es in den Oman weitergehen. Da der Oman keine Landeerlaubnis gab, ging es nach Aden. Auch hier wollte man die Landshut nicht und sperrte kurzerhand die Bahn. Da der Sprit jedoch zu Neige ging, musste Kapitän Schumann trotzdem landen, nachts auf einem Sandstreifen neben der Bahn. Da er Sorge hatte, dass dabei das Fahrwerk beschädigt wurde, gestatteten die Entführer Kapitän Schumann nach draußen zu gehen und das Fahrwerk zu überprüfen. Als er erst nach einer guten Stunde zurückkehrte, mutmaßten die Entführer, dass er erneut Kontakt zu Behörden aufgenommen und Informationen weitergegeben hatte. Daraufhin erschoss ihn einer der Terroristen im Mittelgang des Flugzeuges mit einem gezielten Kopfschuss.

2008 konnte man tatsächlich den Kommandeur einer jemenitischen Sondereinheit ausfindig machen, mit dem Kapitän Schumann im Rahmen seines sogenannten Outside Checks Kontakt aufgenommen hat. Er erzählte, dass Kapitän Schumann sehr besorgt um das Leben seiner Passagiere war, weil er eine Beschädigung des Flugzeuges nicht ausschließen konnte und ihn bat, den Weiterflug der Maschine unbedingt zu verhindern. Man könnte sagen, er starb, weil er sich selbst in dieser Ausnahmesituation der großen Verantwortung für die ihm anvertrauten Passagiere und seiner Crew bewusst war und diese annahm. In meine Blogs schreibe ich so oft über Führung und Führungsqualitäten. Kapitän Schumann hat wirklich verstanden, dass es nicht um Macht, Rang oder Prestige geht, sondern um Verantwortung.

Vor einigen Jahren durfte ich die Nichte von Kapitän Schumann als Teilnehmerin in einer Schulung zur Luftsicherheit begrüßen. Sie hat ihren Onkel nie kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich am Flughafen in Frankfurt die Kapitän Schumann Straße entlangfahre, fällt mir auf, wie nah Geschichte sein kann.

Mit dem toten Kapitän Schumann an Bord ging es weiter nach Mogadischu. Die emotionale Belastung der Passagiere und auch der Crew bis dahin kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe so oft in meiner Uniform an der Flugzeugtür gestanden und mir angeschaut, wer so einsteigt und so oft habe ich mich von meinen Kapitänen mit einem “bis zum nächsten Mal” verabschiedet. Für meine Kolleginnen und Kollegen der Landshut gab es kein nächstes Mal mit ihrem Kapitän.

Nach der Landung in Mogadischu drohten die Entführer schließlich, die gesamte Maschine in die Luft zu sprengen. Es wurden Ultimaten ausgehandelt, die einer Einheit des Bundesgrenzschutzes, der GSG9, die Zeit verschafften, die sie brauchten, um sich zu positionieren. Um als deutsche Einheit auf somalischen Boden gewähren zu dürfen, gab es wohl die ein oder andere Waffenlieferung. Wie dem auch sei, am 18. Oktober um 00:05 Uhr MEZ (etwa 90 Minuten vor Ende des Ultimatums) wurde gestürmt. In Anbetracht der Gemengelage hätte man viele Tote und Verletzte erwarten können. Im Schusswechsel starben jedoch nur drei der vier Terroristen. Wie nervenstark und professionell müssen diese GSG9 Beamten gewesen sein? Eine der Terroristen, Souhaila Andrawes, überlebte schwer verletzt. Ihre Gesinnung machte sie noch auf dem Weg zum Krankenwagen deutlich, mit Victory-Zeichen und den Worten “tötet mich, wir werden siegen”. Heute lebt sie unbehelligt in Norwegen. Für ihre Tat saß sie lediglich vier Jahre in Haft. Zwar wurde sie in Somalia zu 20 Jahren Haft verurteilt, jedoch recht schnell in den Irak abgeschoben. Über Beirut ging es nach Zypern und schließlich nach Norwegen, wo ihr als Palästinenserin politisches Asyl gewährt wurde. Zwar wurde sie in Folge auch in Deutschland verurteilt, durfte ihre Haft jedoch in Oslo verbüßen, wo sie aus gesundheitlichen Gründen (Nachwehen der Schussverletzungen) sehr vorzeitig entlassen wurde.

Die inhaftierte Führungsriege der RAF beging noch in der gleichen Nacht kollektiven Selbstmord und einen Tag später wurde auch die Leiche Hans Martin Schleyers in einem Kofferraum im Elsass gefunden.

Der Deutsche Herbst war vorbei. Kanzler Schmidt hatte sicher eine der schwersten Entscheidungen seiner Karriere zu treffen und deren Konsequenzen auszuhalten. In Deutschland wurde es Winter.

Über Terrorismus und Kriminalität - der Versuch einer Abgrenzung

Die Ereignisse rund um die Entführung der Landshut bieten für mich als Human Factors Trainer unzählige Möglichkeiten anzuknüpfen: der Zusammenhang zwischen Führung und Verantwortung, wie Kapitän Schumann ihn zeigte, die unglaubliche Stärke der menschlichen Seele oder des Geistes, der alle Geiseln diese extreme Situation aushalten ließ, die Gnadenlosigkeit von Entscheidungen, wie sie Kanzler Schmidt sicher verspürt hat, oder das außergewöhnliche Stressmanagement jedes einzelnen GSG9 Beamten und die extrem gute Zusammenarbeit im Team der GSG9, die absolute High Performance hervorgebracht hat. Vielleicht werde ich mir das ein oder andere zu den nächsten Jahrestagen vorknüpfen. Heute möchte ich mich mit einem Thema auseinandersetzen, das mich schon seit Jahren beschäftigt: woher kommt Terrorismus und was können wir aus dem, was war, lernen.

Meine erste wirkliche Berührung mit Terrorismus hatte ich, als ich mit 19 im Ausland als Barkeeperin gearbeitet habe und einer der Stammgäste, ein alkoholabhängiger alter Mann, mir im Gespräch erzählte, dass er ein inzwischen begnadigter Terrorist war. Mit 19 ist man da erstmal sprachlos. Also erzählte er. Er berichtete wie er als junger, unterprivilegierter Mann mit der falschen Religion unbedingt für eine bessere Welt für seine Kinder kämpfen wollte. Natürlich gab es während des Kampfes für eine bessere Welt Kollateralschäden, die er augenscheinlich sehr bedauerte. Am meisten bedauerte er jedoch, dass er, während er total mit Kämpfen beschäftigt war, völlig vergessen hat, sich eine Frau zu suchen, mit der er eine Familie hätte gründen können. Dann kam er ins Gefängnis und als er rauskam, war es zu spät, um eine Familie zu gründen. Das ist irgendwie fast schon tragisch. Vor mir saß ein alter, einsamer, gebrochener Mann. Er hätte mir leidtun können, hätte ich nicht einige Wochen zuvor einen jungen, attraktiven, charmanten Mann kennengelernt, dessen Tragik es war, dass er seine Eltern und seine Großmutter bei einem Terroranschlag verloren hat.

Schon Albert Camus hat sich in seinem Drama “Die Gerechten” mit der Frage, ob der Zweck die Mittel heilige, auf intellektueller Ebene auseinandergesetzt und ist nach meinem Empfinden zu keiner befriedigenden Antwort gekommen. Was ist im Kampf für eine bessere Welt oder eine bessere Gesellschaft erlaubt? Wie weit darf man gehen? Diese Fragen haben mich zu dem Aspekt gebracht, der Terrorismus aus meiner Sicht von Kriminalität unterscheidet: ein Krimineller ist sich bewusst darüber, etwas Illegales zu tun, während ein Terrorist von der Richtigkeit seines Tuns so überzeugt ist, wie ich überzeugt davon bin, dass man eben diese Terroristen aufhalten muss. Es ist verrückt, dass Souhaila Andrawes bis heut immer wieder Flüge bei Lufthansa bucht und sich darüber wundert, dass man sie nicht mitnehmen möchte… Klar, in ihrer Welt hat sie nichts Falsches getan. Sie hat für ihre Ideale gekämpft. Wer oder was ist da schon die Deutsche Lufthansa?

Woher kommen Terroristen?

Wenn man Terror als einen Konflikt betrachtet, den eine Gruppen von Menschen mit dem Staat, der restlichen Welt oder einer Religion hat, dann ist dem Mediator klar, dass die Ursache von Terrorismus eine unterschiedliche Meinung oder eine andere Perspektive ist. Betrachtet man sich die Ursprünge der RAF, findet man eine Generation junger Studenten, die das Verhalten ihrer Eltern während der Zeit des Nationalsozialismus kritisch hinterfragt haben. Auch der Kapitalismus, die parlamentarische Demokratie und die bürgerliche Art zu leben wurde hinterfragt. Man war nicht mehr und nicht weniger, als auf der Suche nach einer besseren Form gesellschaftlichen Zusammenlebens und mit der Ablehnung des Vietnamkriegs war man auch gegen Krieg und für Frieden. Das hört sich großartig an. Ich hätte mitgemacht. Es bildete sich die Außerparlamentarische Opposition (APO), die sich politisch engagierte. Man hinterfragte Kanzler Giesinger, da dieser im Dritten Reich als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes auf Seiten der Nazis aktiv war und hinterfragte so auch die noch junge Bundesrepublik. Man überlegte vielleicht sogar völlig zurecht, ob das System, das alte Nazi-Kader wieder an die Macht brachte, das richtige System für einen wirklichen Neuanfang nach dem Unrecht des Dritten Reichs sei. Was um alles in der Welt konnte einige dieser klugen, reflektierten, mutigen jungen Menschen zu gewalttätigen Mördern werden lassen?

Was einen jeden eskalieren lässt, ist wenn man seine Meinung nicht hört oder hören möchte, man denjenigen außenvor lässt, ihn respektlos behandelt und nicht wahrnimmt (wir sind hier mal wieder bei Maslows Bedürfnispyramide). So erging es der APO. Obwohl sich hier ausgesprochen viele Menschen organisierten und man getrost von einer Bewegung sprechen darf, wurde diese von den Mächtigen in Politik und Gesellschaft ignoriert. War ja auch viel einfach so. Anders hätte man sich womöglich mit seiner eigenen Vergangenheit und seiner eigenen Verantwortung auseinandersetzen müssen.

Konflikteskalation nach Glasl, auch historisch betrachtet

Was passiert, wenn man mir nicht zuhört? Ich rede etwas lauter und lauter und lauter und lauter. Irgendwann schreie ich. Auch die Schreie der RAF wurden ignoriert. Es kam zu dem, was Camus beschrieben hat: es kam zu einer Strategiediskussion innerhalb der Studentenbewegung, die sich mit der Legitimation von Gewalt zum Erreichen der Ziele beschäftigte. Am Ende stand zunächst der Konsens, dass “Gewalt gegen Sachen” in jedem Fall gerechtfertigt sei. Der Staat sah das naturgemäß anders, zog die Daumenschrauben an, der Konflikt eskalierte weiter, die RAF ging in den Untergrund und irgendwann war man wohl der Meinung, dass durchaus auch Gewalt gegen Menschen gerechtfertigt sei, um sich Gehör zu verschaffen. Auf Glasls Skala zur Eskalation von Konflikten befinden wir uns auf Stufe 9 (hier ein Link zum erklärenden Blog). Ab hier gibt es keine Sieger mehr. Die Terroristen schauen nicht mehr nach links oder nach rechts, wie der alte Gast in dieser Bar am Ende der Welt, der das wichtigste in seinem Leben aus den Augen verloren hat, weil er nur noch den Kampf sehen konnte und dabei vergessen hat, wofür er eigentlich kämpfen wollte. Der Staat ist in die Enge getrieben und muss Entscheidung treffen, wie Kanzler Schmidt im Herbst 1977, eine gesamte Gesellschaft lebt in Angst und Menschen verlieren das wertvollste, was sie haben: ihr Leben. Zurück bleiben Familien und Freunde, die für den Rest ihres Lebens mit diesem Verlust klarkommen müssen.

Es geht mir nicht darum Terrorismus zu legitimieren. Wenn Menschen, aus welchen Gründen auch immer, die Grenzen hin zu Gewalt überschreiten, gibt es für mich keine Rechtfertigung mehr. Der Unterschied zu kriminellen Gewalttätern ist für mich als Mediator jedoch, dass man als Gesellschaft die Möglichkeit hat, terroristische Gewalt zu verhindern, wenn man zu einem sehr frühen Zeitpunkt deeskalierend vorgeht, indem man sich mit anderen Meinungen auseinandersetzt, allen Menschen Respekt entgegenbringt und vor allem, indem man sich zuhört.

Mein Blick in die Welt - mit der Vergangenheit im Kopf Zukunft gestalten?

Wie sieht es heute aus? Wenn ich mir die Medienlandschaft so anschaue, sehe ich überall auf der Welt junge Menschen, die sich eine andere Gesellschaft wünschen, die für wundervolle Dinge kämpfen, das Alte hinterfragen und von einer besseren Zukunft träumen. Wie gut hören wir diesen jungen Menschen zu? Gestehen wir ihnen zu, ihre Zukunft mitzugestalten, obwohl sie noch nicht Teil des mächtigen Establishments sind? Ich sehe Menschen, für die der Alltag ein Kampf ist, die gerade so über die Runden kommen und Angst davor haben, dass ihr Leben noch härter wird. Sie haben Angst, ihr Bescheidenes Hab und Gut auch noch teilen zu müssen. Vielleicht haben sie auch nur Angst vor allem, was fremd ist. Was tun wir, um ihnen diese Ängste zu nehmen? Wie viel Respekt und Verständnis bringen wir ihnen entgegen? Setzen wir uns überhaupt mit ihnen auseinander? Ich sehe Menschen, die wütend sind, weil sie nicht verstehen, dass sie auf Grund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Ethnie, ihrer Hautfarbe benachteiligt werden. Wie sensibel sind wir, die wir zur vermeintlichen Mehrheit, zum Standard, gehören, für deren Sorgen, deren Wut und deren Träume?

Irgendwie erscheint die Welt immer so wahnsinnig überrascht, wenn man feststellt, dass wo auch immer und warum auch immer plötzlich Terrorismus auftaucht… Das war bei den Anschlägen von 9/11 so, mit dem IS konnte man natürlich auch nicht rechnen, der IRA und der ETA, der RAF, oder den rechten Terrorzellen in Deutschland. Hier scheint Donald Trump geradezu weitsichtig (und ich hasse es, das zu schreiben, denn ihr wisst wie ich zu ihm stehe). Er schreit den linksradikalen Terror wie ein Schreckgespenst gerade zu herbei. Interessant ist hierbei vor allem eins: es ist der Geist, den er selbst ganz laut ruft, indem er komplett unversöhnlich, arrogant und respektlos auf seinem eigenen Standpunkt beharrt und all jenen, die sich nicht gehört und wahrgenommen fühlen nur eine Möglichkeit lässt: immer lauter zu schreien!

Klar könnte man jetzt sagen, dass das alles weit weg passiert. Aber mal ehrlich, wie unversöhnlich stehen sich in unserer Gesellschaft Meinungen gegenüber? Wie ist es um unsere Diskussionskultur hier in Deutschland bestellt? Ich stelle immer mehr fest, dass man inzwischen häufiger übereinander oder gegeneinander redet, als miteinander. Bei Glasl wäre das bereits ein mittleres Eskalationslevel, das sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr einfangen lässt. Sind wir uns sicher, dass wir das wollen? -Wissend, dass es ab einem gewissen Punkt nur noch Verlierer gibt?

Heute vor 43 Jahren, kurz nach Mitternacht endete für die Landshut-Geiseln ein fast einwöchiger Albtraum, der sie sicher ein Leben lang begleitet hat und noch immer begleitet. Für die Familie, die beiden Söhne und die Frau und sicher auch für die Freunde von Kapitän Schuhmann ging der Albtraum wahrscheinlich erst los. Vielleicht sollten wir alle täglich die Kapitän Schumann Straße entlangfahren um uns daran zu erinnern, wie wichtig es ist, einander zuzuhören, miteinander zu reden und auch bei unterschiedlichen Meinungen im respektvollen Austausch zu bleiben.

Schönen Sonntag allerseits!

Eure Constance

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Achtung Terror

Das Ende des Miteinanders

Konflikte - keiner will sie, jeder hat sie und manchmal möchte man einfach nur laut schreien

Bekenntnisse eines Konflikt-Profis

Also, wie fange ich an…??? Vielleicht mit einer kleinen Beichte: ich bin Mediator, quasi Konflikt-Profi. Außerdem bin ich Human Factors Trainer und weiß, dass Konflikte für gewöhnlich daher rühren, dass zwei Parteien ein und dieselbe Situation einfach nur unterschiedlich wahrnehmen. Also alles kein Drama! Ich habe sogar gelernt, dass diese unterschiedlichen Wahrnehmungen super wichtig in einem High Performance Team sind, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Also alles kein Drama. Ich könnte mich ganz entspannt zurücklehnen und alle möglichen Konflikte auf mich zukommen lassen und sie in aller Ruhe und im Gespräch lösen und dann (etwas klüger als vorher) einfach weitermachen im Text. Ja, das alles könnte ich… Leider gibt es in meinem Gehirn diesen schon mehrfach von mir beschriebenen Party-Pooper namens Amygdala (oder gerne auch Angsthirn genannt), der rasend schnell agiert und das ganz anders sieht. Meine Amygdala schert sich einen feuchten Kehricht um die vernünftigen und positiven Nebeneffekte, die Konflikte so mit sich bringen. Meine Amygdala kennt nur Schwarz und Weiß, Freund oder Feind. In ihrer, zugegebenen etwas veralteten Vorstellung von der Welt leben wir noch in Höhlen und ein jeder, der nicht unserer Meinung ist, bedeutet Lebensgefahr. Meiner Amygdala ist es in solchen Situationen super wichtig, dass ich nicht unter die Räder komme. Deshalb versetzt sie mich auf sehr fürsorgliche Art und Weise sofort entweder in einen Kampf- oder in einen Fluchtmodus. Da die Amygdala schon sehr lang Zeit hatte, zu üben, ist sie dabei deutlich schneller, als meine modernen Mediatoren-Hirnteile, die natürlich wissen, dass eine andere Meinung heutzutage nicht unbedingt Lebensgefahr bedeutet. Das macht mich manchmal fertig! Deshalb will ich keine Konflikte, obwohl ich weiß welch großes Potenzial sie auch für meine Weiterentwicklung mit sich bringen. Nein, ich will sie nicht, ich versuche sie manchmal sogar aktiv zu meiden.

Kommen euch die Situationen bekannt vor, in denen ihr alles versucht, um einen Konflikt zu meiden? -In denen euch eine andere Meinung dazu bringt, euch innerlich zurückzuziehen, um bloß nicht mehr mit dem Gegenüber zu sprechen? -In denen ihr sofort und unüberlegt zurückschießt? Glückwunsch! Auch ihr habt eine gut ausgebildete und wachsame Amygdala, die im Zustand permanenter Aufmerksamkeit aufpasst, dass ihr nicht aus Versehen von einem Säbelzahntiger gefressen werdet. Soll heißen, euer Gehirn funktioniert ganz normal. Wut, Angst und Angriffslust (und auch der Wunsch manchmal laut zu schreien), aber auch innerer Rückzug und Bockigkeit sind ganz normale menschliche Gefühlsregungen. Soweit die gute Nachricht.

Weil die Welt sich weiterdreht

Jetzt kommt die schlechte Nachricht: ihr habt es sicher mitbekommen, die Säbelzahntiger sind ausgestorben und wir leben nicht mehr in Höhlen. Genau das müssen wir unseren Amygdalas behutsam beibringen, sonst wird das Leben in unserer modernen Welt echt anstrengend. Bei jeder abstrakten Bedrohung kämpfen oder flüchten zu müssen ist echt kräftezehrend. Wie man das ändern kann? Gute Frage! Zunächst einmal ist es wichtig, zu verstehen, wie diese Amygdala funktioniert, um zu verstehen, was mit einem selbst passiert, wenn man mal wieder rotsieht. In meinen Workshops fange ich zumeist erstmal damit an, zu erklären, woher das Wörtchen Konflikt überhaupt kommt. Seinen Ursprung hat das Wort im Lateinischen: confligere bedeutet so viel wie zusammenstoßen oder zusammenprallen. Das beschreibt es ganz gut. Die Amygdala wertet diesen abstrakten Zusammenstoß nämlich als konkreten, körperlichen Zusammenstoß und glaubt kämpfen zu müssen, um zu überleben. Diesen Umstand zu akzeptieren ist zunächst einmal die Basis, um daran arbeiten zu können. Denn Fakt ist, hat die Amygdala erstmal Gas gegeben, nimmt ein jeder Konflikt eine Eigendynamik auf, die sich auch durch den Versuch, den Konflikt und die damit verbundenen Gefühle zu ignorieren, nicht aufhalten lässt.

Zur Dynamik von Konflikten

Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl hat 1980 sein Modell zur Konflikteskalation veröffentlich. Er hat dargestellt, dass alle Konflikte (auch die ignorierten) immer weiter eskalieren. Das tun sie in den stets gleichen Phasen. Ich halte es für wichtig, sich einmal mit diesen Phasen beschäftigt zu haben, um sich selbst in einem Konflikt besser zu verstehen und um zu wissen, wo es noch Ausgänge oder Notausgänge gibt. Deshalb hier in aller Kürze die Konflikteskalation nach Glasl:

  1. Es wird kälter: jeder kennt dieses Gefühl. Man merkt, dass etwas nicht stimmt. Es gibt Spannungen und Sticheleien, kein wirklicher Streit, aber genug um sich unwohl zu fühlen.

  2. Debatten und Polarisation: kurzgefasst; es wird diskutiert und debattiert wann immer es geht. Der jeweils andere wird dabei langsam zum Gegner.

  3. Taten statt Worte: jetzt geht es darum, den jeweils anderen konkret unter Druck zu setzen. Im Arbeitsumfeld könnte das bedeuten, den anderen vielleicht einfach mal zu vergessen, in einer wichtigen Mail nicht anzukopieren. Soll passieren, habe ich gehört! Ups!

  4. Jeder soll sehen, dass der andere der Schuft ist: natürlich geht es darum, Allianzen zu knüpfen, Unterstützung und Verbündete zu finden. Klar, wenn mir noch drei andere bestätigen, dass das Verhalten des anderen “gar nicht geht” wird meine subjektive Empfindung jetzt zur objektiven Wahrheit! Victory!

  5. Gesichtsverlust: nun geht es darum, den jeweils anderen moralisch zu entwerten. Es geht langsam aber sicher nicht mehr um das eigentliche Konfliktthema, sondern um den anderen als Person, um den Feind! Eine differenzierte Perspektive wird immer schwieriger.

  6. Drohstrategien: Mein Lieblingspunkt! Ja, wir Menschen drohen unglaublich gerne, weil wir glauben, dass der andere tut was wir wollen, wenn wir ihn nur gehörig unter Druck setzen. Dass wir uns dabei immer selbst am meisten unter Druck setzen, merken wir meistens erst zu spät! Kurze Geschichte gefällig? -Eine hochgeschätzte Trainerkollegin berichtet an dieser Stelle gerne von ihren beiden Söhnen, die nicht so gerne aufräumen. Das nervt Mama natürlich sehr. Mal wieder herrschte Chaos in den Kinderzimmern. Es war Wochenende, die ganze Familie freute sich auf ein Straßenfest. Mama freute sich am meisten, weil sie sich da mit Freundinnen zum Sektchen treffen wollte. Die unaufgeräumten Zimmer ihrer Jungs am Morgen erzürnte sie jedoch so sehr, dass sie sich zu folgendem Satz hinreißen ließ: “Wenn ihr das nicht sofort aufräumt, gehen wir nachher nicht auf das Straßenfest!”. Sie sprach es und bereute postwendend! Was wenn die beiden nicht aufräumten? Dann würde sie selbst entweder ihre Freundinnen nicht zum Sektchen treffen können, oder sie würde ihre Autorität bis zur Volljährigkeit der beiden verspielen müssen… Ich bin mir sicher, jeder kann von ähnlich gelagerten Situationen berichten und trotzdem tun wir es immer wieder! Es menschelt halt ungemein, wenn die Amygdala Gas gibt!

  7. Begrenzte Vernichtungsschläge: ab hier gibt es langsam aber sicher kein Halten mehr. Man fängt an, eigene moralische Grenzen zu überschreiten, nur um dem anderen zu schaden.

  8. Zersplitterung: jetzt geht es auch darum, den anderen zu isolieren, indem man seine Netzwerke zu zerstören versucht. Dabei macht man sogar vor der Manipulation Dritter keinen Halt.

  9. Gemeinsam in den Abgrund: nun ist schließlich der Punkt erreicht, an dem man selbst eigene Verluste billigend in Kauf nimmt, solange der andere noch ein klitzekleines bisschen mehr verliert. Wer kennt den Film “Rosenkrieg”? Genau so!

Und? habt ihr euch an der ein oder anderen Stelle an eine konkrete Situation zurückerinnert? Perfekt! Um einen Konflikt lösen zu können, muss man sich trotz all der Emotionen, die in uns toben, erstmal orientieren. Das funktioniert zunächst in der Retrospektive einfacher als in der akuten Situation.

Die Suche nach dem Exit Sign

Was jetzt noch bleibt ist die Frage, wie man wo aussteigen kann. Da Konflikte ja wie gesagt nicht einfach so verschwinden, ist es sinnvoll, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auszusteigen. Friedrich Glasl und ich sind uns darin einig, dass wir einen Ausstieg noch während der ersten drei Stufen empfehlen. Aus zwei Gründen: zum einen lässt sich der Konflikt auf dieser Ebene meist in einer Win-Win-Situation klären und zum anderen auch ohne fremde Hilfe, weil noch nicht wirklich viel Porzellan zerschlagen wurde. Das einzige was es dafür braucht, ist die Achtsamkeit den aufkommenden Konflikt zu erkennen, die Akzeptanz, dass er eskalieren wird, wenn ich nicht einschreite und schließlich den Mut, das ganze anzusprechen. Ich spreche eine solche Situation gerne nach dem WWW-Prinzip an. In meinem Artikel Rund um das Thema Feedback habe ich diese Möglichkeit kurz beschrieben (hier der Link zum Artikel).

Bewege ich mich bereits auf den Stufen 4, 5, oder 6 wird es deutlich schwieriger einen Ausgang zu finden. Häufig ist es sinnvoll hierbei einen unparteiischen Mediator (das darf auch gerne ein neutraler Kollege oder der Vorgesetzte sein) einzuschalten, da man den Konflikt ab der vierten Stufe meist nur in einer Win-Lose-Situation lösen kann, weil bereits Dritte involviert sind. Im Business-Umfeld können gut vorbereitete Führungskräfte übrigens sehr wertvolle Beiträge dazu leisten, dass sich selbst “Lose” nicht allzu schmerzhaft anfühlt. Es geht um die Möglichkeit, sein Gesicht wahren zu können.

Ab Stufe 7 kann man höchstens noch von einem Notausgang sprechen, da die Lösung immer in einer Lose-Lose-Situation enden wird. Auch ist ein Mediator (der dann nicht selten ein Jurist, bzw. Richter sein kann) unumgänglich. Und ganz ehrlich, all euer Bestreben rund um das Thema Konflikt sollte stets sein, es nicht so weit kommen zu lassen.

Achtsamkeit und Selbstführung - mal wieder

So weit in aller Kürze zu den Weisheiten des Konfliktmanagement-Trainers. Der Coach in mir hat noch einen anderen Ansatz. Ich komme nochmal auf die Amygdala zurück. Denn am sinnvollste wäre es doch, wenn wir einfach weniger Konflikte hätten, bzw. unsere Amygdala weniger Situationen als bedrohlich wahrnimmt, weil sie langsam aber sicher in unserer modernen, abstrakten Welt ankommt. Hierzu müssen wir zunächst einmal einsehen, dass die Konflikte, die wir haben, zumeist deutlich mehr mit uns selbst, als mit unserem gegenüber zu tun haben. Den gefühlten Konflikt verursacht nämlich für gewöhnlich unsere ureigenste Bewertung der Situation. Wir müssen einfach davon loskommen, alles als Bedrohung wahrzunehmen. Das funktioniert, ist aber ein verdammt langer Weg. Vor etwa zwei Wochen habe ich bei Instagram (unbezahlte) Werbung für ein Buch gemacht: “… und ständig tickt die Selbstwertbombe” von H. H. Stavemann. Mit Hilfe dieses Buches kann man eine wirklich spannende Reise in sein eigenes Bewertungssystem unternehmen und gaaaaanz langsam, Schritt für Schritt, mittels des ABC-Modells an diesem Bewertungssystem arbeite. A steht hierbei für die Ausgangssituation, B für die Bewertung und C für die Konsequenzen. Wenn der ein oder andere diesbezüglich an sich arbeiten möchte und gerade keinen Coach an seiner Seite hat, ist Stavemanns Buch, das übrigens ausdrücklich für den Endverbraucher und psychologischen Laien geschrieben ist, eine tolle Alternative.

Egal welchen Weg ihr für euch wählt, Stavemann, einen Coach oder eine andere Möglichkeit zu Achtsamkeit und Selbstreflexion, am Ende bedeutet das immer zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: entweder ich unterwerfe mich meiner Amygdala und lasse sie uneingeschränkt meine gesamte Umwelt als bedrohlich einschätzen. Vielleicht ist das ja wirklich weniger kräftezehrend, als Selbstreflexion und bewusste Selbstführung. Oder ich arbeite an mir, meinen Mustern, versuche auch mal die Perspektive zu wechseln und das Thema Konflikt für mich um zu bewerten. Ich habe mich für zweites entschieden. Das lässt mich viel entspannter durchs Leben gehen. Natürlich gelingt es mir nicht immer. Manchmal passiert einfach etwas und meine Amygdala sieht rot. Aber das gönne ich mir dann auch. So ist der Mensch und manchmal ist es völlig OK, auch mal laut zu schreien, finde ich und freue mich gleichzeitig darüber, dass meine Amygdala in den letzten Jahren deutlich cooler geworden ist.

Eure Constance

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Gemeinsam in den Abgrund?

Weil Konflikte irgendwann nur noch Verlierer kennen