Hilfe ich habe Corona… Nee, warte… Doch nicht…
Heute schreibt euch die stolze Besitzerin von 24 Rollen Toilettenpapier! Ich würde sagen, Weihnachten kann kommen… Ich weiß, in meinem ersten Corona-Blog habe ich mich intensiv gefragt, was Menschen dazu treibt, Toilettenpapier zu horten. Jetzt weiß ich es. Ich fange mal von vorne an, denn Corona ist mir in dieser Woche ganz schön auf die Pelle gerückt.
Mitte dieser Woche klingelt morgens das Telefon, es war ein Freund, dessen Sohnemann ich vor einigen Tagen bei ihm zuhause zum Spielen besucht habe. Es gibt nichts Bereichernderes als die unverfälschten Gedankengänge eines Vierjährigen. Nun war der Papa, den ich bei meinem Besuch auch gesehen habe, Covid-positiv getestet, was gegenwärtig ja recht negativ ist. In dem Moment, in dem er das am Telefon ausgesprochen hatte, verspürte ich selbstverständlich spontan Halsschmerzen. Es folgte wilder Aktionismus, ich wusste nämlich so gar nicht, was ich jetzt zu tun hatte. OK, ich habe erstmal alle Termine abgesagt und meine geplanten Präsenz-Schulungen diese Woche an einen Trainerkollegen weitergegeben. Danach kam wieder Hilflosigkeit in mir hoch. Ich wollte Fakten schaffen und am liebsten sofort einen Test machen. Das ist leider nicht so einfach. Ich telefonierte wild umher und hörte gefühlt mindestens zwei Mal zu oft Sätze wie “also so richtig wissen wir auch nicht, wie das jetzt weitergeht”. Erlösung erhoffte ich mir, als ich beim Gesundheitsamt endlich ein Freizeichen hatte. Meine Heldin am anderen Ende der Leitung war eine wirklich sympathische junge Frau. Leider folgte die Ernüchterung postwendend, denn auch sie konnte mir nicht das liefern, was ich mir am sehnlichsten wünschte: jemanden, der mir in dieser unbekannten Situation sagt, was zu tun ist. Testen lassen könne ich mich erst, wenn der Erkrankte die Kontaktliste eingereicht habe und diese abgearbeitet sei. Das könne bis zu zwei Tage dauern. Und bis dahin? Bis dahin müsse ich entscheiden, wie ich mich verhalte! Toll! Und wie soll ich mich jetzt verhalten? Ich merkte, wie ich am Telefon allmählich den Druck erhöhte. Die arme Frau. Druck erhöhen kann ich ganz gut. Es half aber alles nichts. Das Telefonat war beendet und ich musste selbst entscheiden, was nun sinnvollerweise zu tun ist. Erstmal auf die Quarantäne vorbereiten und die Vorräte auffüllen. Es entstand eine Einkaufsliste, die mir bis heute Freude macht und selbstverständlich musste noch eine Extraportion Toilettenpapier her. Es waren zwar noch zwölf Rollen im Vorratsschrank, aber ich war in meiner Machtlosigkeit der Meinung, dass man Toilettenpapier ja immer brauchen kann, es wird nicht schlecht und überhaupt ist es besser, Toilettenpapier zu kaufen, als sich wehrlos dem Schicksal zu ergeben.
Den restlichen Tag versuchte ich ruhig zu bleiben und mich abzulenken, indem ich einen mir sehr wichtigen Online-Termin am nächsten Tag vorbereitete. Funktionierte ganz gut. Ich habe zwischenzeitlich sogar das Halskratzen vergessen. Am Abend klingelte wieder das Telefon. Erneut der Papa meines Spielkameraden, der mir erklärte, dass ich ihn kurz vor dem ermittelten Ansteckungsfenster gesehen habe und deshalb raus sei aus der Nummer. Kein Test, keine Quarantäneanordnung! Großartig. Das Halskratzen war auch sofort weg. Interessant dachte ich noch, verabschiedete mich von meinem Freund, wünschte gute Besserung und freute mich, dieses Mal fein raus zu sein. Trotzdem kreiselte es in meinem Kopf weiter. Wie genau ist das denn nun mit diesem Ansteckungsfenster? Und was wenn das doch nicht ganz gestimmt hatte… Schon wieder hilflos und schon wieder sagt einem keiner was richtig und falsch ist. Ich habe schließlich für mich entschieden, mich in den nächsten Tagen zurückzuziehen, die geplanten Schulungen durch meinen Kollegen durchführen zu lassen und meinen Hals zu beobachten, obwohl ich eigentlich hätte postwendend zur Normalität zurückkehren können. War das jetzt panisch oder übervorsichtig, oder einfach nur vernünftig? Keine Ahnung! Es war meine Art in dieser Situation Verantwortung zu übernehmen.
Zwei Tage später klingelte gegen Abend wieder das Telefon. Es war die nette Dame vom Gesundheitsamt, die sich bei unserem ersten Gespräch meine Daten aufgeschrieben hatte und sich nochmal melden wollte, weil sie mich auf keiner der Listen gefunden hat. Ich erklärte ihr kurz die Situation und sagte abschließend, dass ich kein Fall für sie sei. Sie musste lachen und meinte nur, ich wisse gar nicht, wie gerne sie das gerade höre. In dem Moment wurde mir klar, dass unser System in Anbetracht des großen Chaos doch recht gut funktioniert. Was nicht fehlerfrei funktioniert hat, war in meinem Fall der Mensch, also ich…
“Es ist leichter, zum Mars vorzudringen als zu sich selbst.” C. G. Jung
Als ich schließlich einen Tag später damit angefangen habe, über Corona und mich selbst nachzudenken, bin ich über dieses Zitat des Begründers der analytischen Psychologie gestolpert und dachte mir nur, wie recht er hat. Betrachte ich die Dinge aus einer Metaebene, wirkt alles immer so klar. Ich weiß nicht wie oft ich schon über New York geflogen bin und mir dachte, wie ordentlich und strukturiert diese Stadt von oben aussieht und unten, mitten auf dem Times Square, muss ich aufpassen, nicht verloren zu gehen. Ähnlich geht es mir mit den Menschen. Von außen betrachtet scheint so vieles klar zu sein, steckt man selbst im Chaos, geht die Klarheit schnell verloren. Der Schlüssel dazu, sich nicht zu verlieren, ist bewusste Selbstführung. Hört sich erstmal ganz einfach an, wenn das Leben jedoch passiert, ist es oft so, dass unbewusste, uralte Mechanismen übernehmen und wir uns nicht mehr selbst führen, sondern nach externer Führung suchen. Damals, in der Höhle war das durchaus sinnvoll, heute brauchen wir das nicht mehr. Heute tragen wir alle Ressourcen, die uns erfolgreich machen, in uns. Spätestens seit der Aufklärung sollte uns das klar sein. “Sapere aude!” postulierte der große Immanuel Kant. Und Recht hatte er. Es bedarf Mut, sich seines Verstandes zu bedienen, führt es doch zwangsläufig irgendwann dazu, sich über sich selbst Gedanken zu machen. Aber leider bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Mut aufzubringen, denn diese Panikreaktionen sind in Hinblick auf Toilettenpapier ziemlich dämlich, in anderen Situationen können sie durchaus gefährlich werden. Außerdem sind sie anstrengend und kosten viel Energie.
Das Hirn umpolen… Was bitte?
Um die bundesdeutschen Toilettenpapiervorräte und unsere Nerven zu schonen, ist es also sinnvoll, unserem Gehirn dabei zu helfen, in der modernen, aufgeklärten Welt anzukommen, damit wir uns zukünftig bewusst selbst führen können. Hierzu ist es im ersten Schritt wichtig, eigene kognitive Muster zu erkennen und sie im zweiten Schritt zu durchbrechen. Hilfreich hierbei kann die sogenannte ABC-Theorie von Albert Ellis sein.
Ellis’ Theorie liegt zugrunde, dass wahrgenommene Reize unbewusst bewertet werden und diese Bewertung schließlich die Ursache für daraus abgeleitetes Verhalten ist.
A steht hierbei für den auslösenden Reiz (in meinem Fall für diesen Corona-Anruf).
Aus A resultiert B, die Bewertung, die in meinem Fall zunächst unbewusst und irrational abgelaufen ist. Mein Hirn hat sich sofort in einen Zustand größter Bedrohung katapultiert. Mein Gehirn dachte, ich habe Corona. Deshalb musste mir ja auch der Hals wehtun!
B führt zu C, den Konsequenzen (engl. Consequences), sowohl auf emotionaler, als auch auf Verhaltensebene. Auf emotionaler Ebene habe ich mich überrumpelt und hilflos gefühlt, was zum einen dazu geführt hat, dass ich intensiv nach jemanden gesucht habe, der mir sagt, was zu tun ist. Zudem habe ich versucht aktiv zu bleiben und etwas vermeintlich Sinnvolles zu tun. Jetzt habe ich 24 Rollen Toilettenpapier!
Während ich also vor meinen 24 Rollen Toilettenpapier saß, kam bei mir die Frage auf, ob das wirklich klug war. Wir sind bei Ebene D, dem Infrage stellen (engl. Disputation). Natürlich habe ich recht schnell verstanden, dass der bloße Anruf meines Freundes noch lange nicht bedeutet, dass ich für die nächsten vierzehn Tage auf mich alleine gestellt eingesperrt sein würde. Außerdem erkannte ich, dass ich niemanden brauche, der mir sagt was zu tun ist, weil ich das selbst ausgesprochen gut hinbekomme. Ich kann das mit dem Übernehmen von Verantwortung, eigentlich! Verdammt, was ist da nur passiert?
Diese Frage führte mich schließlich zu E, dem Effekt, der zur kognitiven Umstrukturierung führt. In meinem Fall war der Effekt, dass ich mich recht lächerlich mit meinen 24 Rollen Toilettenpapier gefühlt habe und als die nette Dame vom Gesundheitsamt ein zweites Mal angerufen hat, war ich irgendwie etwas kleinlaut, weil es mir inzwischen ein ganz kleines bisschen unangenehm war, dass ich bei unserem ersten Telefonat Anweisungen erwartet habe, die ich nur mir selbst hätte geben können. Mein Verhalten in einer unklaren Situation (in der es keine eindeutigen Vorschriften gibt) liegt in meiner Verantwortung. Punkt!
Deshalb geht es zurück zu B, jetzt eben B2. Ich habe gelernt, dass es zielführender ist, beim nächsten Mal die Situation rational und logisch zu bewerten, um auf C2 eben auch mit angemessenen Emotionen ein zielförderliches Verhalten an den Tag zu legen und eigenverantwortlich klare Entscheidungen zu treffen. Vor allem aber habe ich gelernt, dass ich keine Angst davor haben muss, eigenverantwortlich und bewusst zu entscheiden und zu handeln, weil das daraus resultierende Ergebnis einfach besser ist, als das Resultat emotionaler und aus Unsicherheit geprägter Übersprunghandlungen. Diese undurchdachten Bewertung resultieren übrigens aus unseren Erfahrungen, unserer Erziehung, unseren Glaubenssätzen und so weiter uns sofort. Also aus Faktoren, die aus unserer Vergangenheit resultieren und mit der aktuellen Situation nicht allzu viel zu tun haben. Unser faules Gehirn macht es sich eben gerne leicht. Wenn es nicht unbedingt sein muss, bewertet man nicht die wirklich aktuelle Situation, sondern greift lieber auf Altbekanntes zurück, obwohl in einer komplexen Welt keine Situation einer bereits erlebten gleicht…
Also einfach das Bewertungssystem auf Reset stellen
Liest sich wahrscheinlich ganz einfach. Eine konsequente Umbewertung ist jedoch ein Prozess der Zeit braucht. Der Weg hin zu bewusster Selbstführung ist lang, aber lohnend, weil auf dessen Zielgerade ganz viel Ruhe und Gelassenheit winken. Hinzu kommt, dass irrationale Bewertungen (beruflich wie privat) in unserer komplexen und dynamischen Welt oft deutlich fatalere Folgen als ein Schrank voller Toilettenpapier haben. Wer erfolgreich sein möchte, wer andere erfolgreich führen möchte, muss im ersten Schritt lernen, sich selbst zu führen. Und das geht nicht, ohne sich mit sich selbst und seinen eigenen Werten oder Bewertungen zu beschäftigen, denn sie bestimmen unser Fühlen und Handeln. Ein Coach kann hierbei Hilfestellung leisten, den Weg ein wenig zu beleuchten. Gehen muss man diesen Weg jedoch allein, eigenverantwortlich, weil wir die Verantwortung für unser Handeln tragen. Klar gibt man uns einen gewissen Handlungsspielraum. Diesen gibt uns zum Beispiel der Staat durch Gesetze vor, der Arbeitgeber durch Verträge und Regeln und wir uns selbst durch Normen. Allerdings muss uns bewusst sein, dass das Leben auf allen Ebenen so komplex und dynamisch geworden ist, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir im Rahmen dieser Vorgaben das tun, was Kant uns schon 1784 ans Herz gelegt hat: nämlich den Mut uns unseres Verstandes zu bedienen und eigenverantwortlich zu entscheiden und zu handeln. Und eh das hier in eine falsche Richtung geht, sei abschließend noch erwähnt: mein Verstand sagt mir, dass ein studierter Virologe fundierteres Expertenwissen in Hinblick auf Pandemien hat, als Köche, YouTuber und anderen Verschwörungstheoretiker. Denn Verantwortung bedeutet nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen zu tragen. Das nennt man Solidarität.
Eure Constance
PS: All jenen, die sich etwas intensiver mit dem ABC-Modell und ihrem eigenen Bewertungssystem auseinandersetzen möchten, ohne sich einen Coach leisten zum müssen, lege ich H.H. Stavemanns Buch “… und ständig tickt die Selbstwertbombe” sehr ans Herz. Natürlich ist diese Werbung unbezahlt. Das Buch ist für den “Endverbraucher” geschrieben und beinhaltet auch zum ABC Modell Arbeitsblätter und Denkanstöße, die einem den Weg durch sein eigenes Bewertungssystem ein wenig beleuchten.