#DearAfghanSister
Eigentlich habe ich für diesen Sonntag ein ganz anderes Thema geplant, aber da diese Welt nun mal sehr volatil ist und ich mir vorgenommen habe, mich in meinem Blog mit Themen auseinanderzusetzen, die mich auch in meiner (Arbeits-) Woche beschäftigt haben, gibt es mal wieder einen dieser “aus-gegebenem-Anlass-Artikel”. Es wäre nämlich eine glatte Lüge, so zu tun, als ob es bei mir in den letzten Tagen gedanklich vor allem um diese schönen Erst-Welt-Probleme der New Work gegangen wäre. Klar habe ich auch gearbeitet, sogar recht intensiv, aber gedanklich bin ich doch immer wieder abgeschweift. Dieses komplette Versagen der Nato im Allgemeinen und Deutschlands im Speziellen hat mich nicht mehr losgelassen. Viel wurde dieser Tage gesagt und geschrieben über Afghanistan und die Taliban. Besonders das Schicksal der sogenannten Ortskräfte hat mich bewegt. Haben sie doch vertrauensvoll ihr Leben in die Hände der anwesenden Streitkräfte gelegt, hoffend darauf, dass sie Teil eines neuen Afghanistans sein würden. Ich möchte nicht politisch einordnen müssen, was in diesem Zusammenhang schiefgelaufen ist. Moralisch gesehen ist es jedenfalls eine Schande.
Aber nicht nur die Ortskräfte haben mich beschäftigt. Naturgegeben ist es so, dass ich natürlich auch daran denken muss, was die Geschehnisse für all die Frauen wie mich bedeuten, wie sich ihr Leben ändern wird, wie all diese Freiheiten, die sich besonders auch Frauen meiner Generation in den letzten zwanzig Jahren in Afghanistan erkämpft haben, verloren gehen werden. Ich frage mich, was das alles besonders für die mutigsten unter diesen Frauen bedeuten mag, für die, die sich gezeigt haben, sich engagiert haben, politisch und gesellschaftlich. Ich habe eine grobe Vorstellung davon, wie das aus dem Blickwinkel der Scharia beurteilt und verurteilt werden wird. -Und ich würde am liebsten laut schreien!
Und dann beginnt die Wut zu arbeiten
Während ich nun also in meiner Gedankenwelt unterwegs war, wuchs in mir die nackte Wut. Angefeuert durch das Fotoprojekt einer iranischen Fotografin mit dem inhaltsschweren Namen “Das Verschwinden der Frau” (wer es noch nicht kennt, möge es bitte googlen) ist die wütende Feministin in mir zur Höchstform aufgelaufen und hat gleichzeitig resigniert! Denn was kann ich schon tun? Durch meine Freundin Sylvia wurde ich auf die Bewegung #DearAfghanSister aufmerksam. -Nichts Großes, nur eine Bewegung, die ihren Ursprung im Flüchtlingscamp auf Lesbos hat und Solidarität zeigt. Also habe ich meine Solidarität gezeigt, meinen Post abgesetzt und dann? Die Feministin in mir war noch immer kurz davor, zu platzen. Diese gottverdammte Männerwelt, in der Frauen nicht sicher sein können! Die Wut wurde globaler! Denn DIESE gottverdammte Männerwelt hört ja nicht an den Grenzen Afghanistans auf. Diese ewig gestrigen Taliban treiben sie lediglich auf die Spitze. Aber ist es im Rest der Welt besser oder sicherer für Frauen und Mädchen? Gewalt und Unterdrückung scheint kulturkreisübergreifend zu sein. Da werden weibliche Föten abgetrieben, weil Töchter weniger wert sind als Söhne, dort wird Vergewaltigung und ekelhafteste sexuelle Gewalt als probates Kriegsmittel gesehen und Abiy Ahmed hat noch immer seinen Friedensnobelpreis. Im wunderschönen Urlaubsland Mexiko gibt es Städte, in denen Frauen nicht mehr alleine nach draußen können, weil sie Vergewaltigung, Entführung und Tod fürchten müssen, während die Täter sich vor der Strafverfolgung nicht fürchten müssen, aus neusten Statistiken in Frankreich geht hervor, dass 80 Prozent aller Frauen mindestens einmal Opfer sexueller Belästigung im öffentlichen Raum waren, weshalb es dafür jetzt eine App gibt, die Türkei tritt aus der Istanbul Konvention aus, Vergewaltigung in der Ehe wird vielerorts nicht bestraft, weil es ja die Pflicht der Frau ist, dem Gatten zu Verfügung zu stehen und so weiter und so fort… Ich merke, ich schreibe mich schon wieder in Rage! Was für eine kranke Welt, in der die eine Hälfte der Bevölkerung offensichtlich weniger wert zu sein scheint und weniger Rechte zu haben scheint, als die andere!
Und natürlich muss man auch vor der eigenen Tür kehren
Natürlich könnte man behaupten, das alles passiert ja so weit weg und vielleicht hat mein Kindergartenfreund Björn auch recht damit, wenn er auf meine Wut mit der Frage reagiert, was er Frauen denn antue… Sorry dass ich nicht mehr geantwortet habe, Björn! Aber es war nicht an der Zeit! Zumal deine Frage ja völlig berechtigt ist. Aber aus meiner Sicht ist genau das das Problem. Natürlich sind wir hier in Deutschland weiter, als in Afghanistan! Gott Lob, ja, das sind wir! Aber gleichzeitig sitzt meine zauberhafte Stieftochter nebenan am Esstisch und arbeitet an ihrer ersten Hausarbeit für die Uni. Arbeitstitel “Genderproblematik in der sozialen Arbeit”, und zwar in der sozialen Arbeit in Deutschland! Inhalt: Es ist ein Frauenjob und weil es ein Frauenjob ist, ist er wie so viele Frauenjobs mies bezahlt und die besser bezahlten Jobs auf Führungsebene haben die Männer inne! Toll! Woher kommt diese Diskrepanz? Sicher nicht, weil Frauen alle weniger klug oder schlechter ausgebildet sind. Es ist ein altes, krankes Rollenbild: Die Frau kümmert sich und der Mann sagt wo es lang geht! Auch hier in Deutschland! Und schwingt sich doch mal eine auf, den Olymp der Führungsetagen zu erklimmen, wird sie natürlich erstmal in Frage gestellt. Aus dem Nähkästchen des Coaches: In einer typischen Männerdomäne gibt es einen neuen “Abteilungsleitenden” und einen “stellvertretend Leitenden”. Beide sind gleichermaßen qualifiziert. Der Leitende ist ein “Er” und wird ohne weiteres Hinterfragen seitens des Teams akzeptiert. Er muss nicht beweisen, dass er qualifiziert genug ist, um das Team zu leiten, wird nicht gechallenged, etc. Ihr ahnt es, der Stellvertretende ist eine “Sie”, qualifiziert bis unter die Halskrause. Aber das ist den Herren im Team herzlich egal. Die arme Frau verbringt die ersten Monate damit, sich jeden Tag doppelt und dreifach beweisen zu müssen, bis ihr die gleiche Gnade wie ihrem Chef zu Teil wird und die Herren sie endlich als fachlich qualifiziert akzeptieren. Das ist Gleichstellung und Emanzipation im 21 Jahrhundert und das ist das Problem. Irgendwann wird ja auch die Frau akzeptiert und am Ende tut den Frauen hier bei uns ja niemand etwas. Ach so, OK, abgesehen, von anzüglichen Kommentaren, nicht enden wollenden Cat Calls, dem Klapps auf den Hintern und so weiter! Ey, ehrlich, ich habe schon den ein oder anderen sehr anziehenden Männerpo gesehen und ich habe nie einfach hin gepackt, weil sich das nicht gehört. Das ist respektlos. Aber wie oft hatte ich schon Hände an meinem Hintern! Das ist offensichtlich normal und höchstens ein klitzekleines Kavaliersdelikt! Habe ich mich beschwert, durfte ich mir mehr als einmal anhören, dass ich mich nicht so anstellen solle! Und wo ich gerade bei meiner ganz persönlichen Generalabrechnung bin: Verbrechensstatistiken in Hinblick auf häusliche Gewalt: Wer sind fast immer die Opfer? Fast täglich eine tote Frau, die beschönigend Opfer einer Beziehungstat genannt wird! -In Deutschland, by the way! Und von dem was online los ist, will ich erst gar nicht anfangen!
Was ich mir wünsche
Ich weiß gerade nicht, ob irgendeiner meiner männlichen Lesenden bis hier her durchgehalten hat! Und ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, ob meine männliche Stammleserschaft mir auch noch zukünftig die Ehre erweisen wird, meine Artikel zu lesen! Vielleicht sind sie jetzt alle sauer gefahren! Aber falls du, als Mann, modern und aufgeklärt, bis hierher weitergelesen hast, fragst du dich jetzt vielleicht was wir Frauen, oder ich Emanze, denn nun von dir wollen! Wie sollst du sein? Was kannst du tun? Ganz einfach: Hör auf Politikerinnen nach ihrem Äußeren zu beurteilen, während du Politiker nach ihrer Arbeit beurteilst. Und hör auf, dich zu fragen, ob die hübsche Kollegin sich vielleicht doch nur “hoch-geschlafen” hat. Hör auf, mit deinen Kollegen über die Körper deiner Kolleginnen zu lästern. Hör auf uns in diese uralten Schubladen zu stopfen und hör auf, dich zu wundern, wenn eine Frau eben doch mal selbstbewusst zu Führen beginnt. Das hat nichts mit Zickerei und Mannsweib zu tun! Hör auf zu feiern, dass Deutschland ja so fortschrittlich ist, weil wir ja sogar eine Kanzlerin haben. Sich darauf auszuruhen wäre töricht! Bringe Frauen den gleichen Respekt entgegen, wie Männern und kämpfe mit uns Ladies dafür, dass sich die Dinge nicht nur auf dem Papier ändern, sondern auch in den Köpfen und den Herzen. Frauenquoten machen Quotenfrauen und noch lange keine Gleichberechtigung. Gleichberechtigung wird es erst dann geben, wenn man den Wert der Frau in jederlei Hinsicht erkennt und anerkennt. So weit sind wir gesellschaftlich noch lange nicht! Sonst müssten Frauen sich nicht immer wieder beweisen und sonst würden diese klassischen Kümmer-Berufe wie Sozialarbeit, Krankenpflege, Kinderbetreuung auch nicht so schlecht bezahlt werden. Gegenwärtig scheinen Frauen und das, was Frauen häufig tun, unserer Gesellschaft einfach weniger wert zu sein. Denn weniger anspruchs- oder verantwortungsvoll ist es sicher nicht. Traurig, sehr traurig, zumal ich davon überzeugt bin, dass mehr “Weiblichkeit” der Welt nicht schlecht zu Gesicht stünde. Kümmern, Mitgefühl und Sanftmut sind verdammte Stärken! Hört auf sie als Schwächen zu kategorisieren!
Denn das Patriarchat hat ausgedient
Zurück zu Afghanistan: Diesbezüglich habe ich mich gefragt, was denn gewesen wäre, wenn es mehr Frauen in der Politik und der Armee gegeben hätte! Denn Fakt ist, die allermeisten dieser, von der Nato gut ausgebildeten, männlichen Pantoffelhelden, haben ja sehr schnell und bereitwillig die Waffen gestreckt, als die Moped-Armee der Taliban angeknattert kam, um dann schnellstmöglich das Weite zu suchen. Wie den Pressemeldungen der letzten Woche zu entnehmen war, ist der oberste Held ja sogar tatsächlich in Pantoffeln davongelaufen. Ich frage mich, wie die Moped-Offensive abgelaufen wäre, hätte man die Frauen Afghanistans in die Position gebracht, selbst für ihre Freiheit kämpfen zu können. Im Kopf habe ich das Bild dieser kleinen Gruppe mutiger junger Frauen, die sich den Taliban entgegengestellt haben, indem sie für ihre Freiheit demonstriert haben, mitten in Kabul. Die sogenannten Gotteskrieger waren sichtlich irritiert.
Frauen sind klug, mutig, stark, sanftmütig und klar! Frauen sind ein verdammtes Geschenk für die Welt und ich finde das Patriarchat hat ausgedient, überall auf dieser Welt! Und nein, liebe Männer, es muss auch kein Matriarchat sein! Aber wie wäre es denn mal mit einem System auf tatsächlicher Augenhöhe?
Genug der Emotion! Schönen Sonntag wünsche ich euch, Männern wie Frauen! Und wenn ihr Lust habt, unterstützt #DearAfghanSister mit einem Bild und einer klaren Haltung. Ich weiß, es ist nicht viel, aber es ist mehr als nichts. Wie hat mir letzte Woche eine ziemlich starke Frau geschrieben, der ich sofort abkaufen würde, dass sie aufsteht und kämpft: “Das Problem ist auch diese Hilflosigkeit. Wir könnten ja aufstehen und kämpfen, aber gegen wen? Gegen unsere Politiker? Gegen die Männer in Afghanistan, die nur zu bereitwillig aufgegeben haben, um für ihre Frauen zu kämpfen?”
Lasst uns damit anfangen, gegen diese archaischen Dämonen in unseren eigenen Köpfen zu kämpfen!
Eure Constance