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Wie Kapitäne Flugzeugabstürze verhindert haben und was Führungskräfte daraus lernen können

Human Factors Training in der Luftfahrt

Wer meinen Blog mitverfolgt, kann sich vielleicht noch an Kapitän van Zanten erinnern, den ich euch am 23. April kurz vorgestellt habe. Kapitän van Zanten hat recht normale menschliche Verhaltensweisen gezeigt und hat damit 1977 eine Flugzeugkatastrophe verursacht, die 583 Menschen das Leben gekostet hat. Dieses Unglück auf dem Flughafen von Teneriffa hat eine ganze Industrie zum Nachdenken gebracht. Plötzlich hat man festgestellt, dass es nicht ausreicht, Flugzeugtechnik besser und verlässlicher zu machen, damit Fliegen sicherer wird: die Geburtsstunde des Crew Ressource Management oder Human Factors Training. Inhaltlich befassen sich diese für alle Besatzungsmitglieder verpflichtenden Schulungen mit allem, was die Soft-Skill-Charta so mit sich bringt: Kommunikation, Konfliktmanagement, Teammanagement, Führung (und geführt werden!), analytische Entscheidungsfindung, Stressmanagement, Wahrnehmung, Resilienz, Feedback, Fehlermanagement, kulturelle Unterschiedlichkeit, um nur einige zu nennen. Aber im Prinzip kann man das alles unter dem Thema Sicherheitskultur zusammenfassen: Wie gehe ich mit mir selbst um und wie agiere ich im Team, um erfolgreich von A nach B zu kommen. Die Definition von Erfolg ist in diesem Fall, dass keiner verletzt wird oder gar stirbt.

Seit Teneriffa hat sich die Luftfahrt in diesem Bereich rasant weiterentwickelt und fliegen ist tatsächlich immer sicherer geworden. Hierbei lernt die Luftfahrt vor allem aus ihren Fehlern, den großen Unglücken, aber auch den kleinen Zwischenfällen, weshalb eine transparente Fehlerkultur sogar eine behördliche Vorschrift ist. Sie stellt die Grundlage der Weiterentwicklung dar.

Resilienz als neue Perspektive

Das Thema Resilienz ist eines der jüngsten Themen des Trainingsleitfadens der Luftfahrt. Betrachtet man Weiterentwicklung und Lernen aus einer “resilienten Perspektive”, dann lernt man auch durch Erfolge, nicht nur durch Fehler. Und weil es so viel schöner ist, über gerettete Leben zu berichten, als über Tote, möchte ich mir gemeinsam mit euch in den nächsten Minuten zwei ganz besondere Kapitäne anschauen, die durch ihre Art der Führung, ihr Teammanagement, hauptverantwortlich für die Rettung einiger hundert Menschenleben waren. Selbstverständlich schauen wir uns dann im Anschluss an, was jede Führungskraft von diesen beiden Herren lernen kann. Egal ob im Flugzeug, am Schreibtisch, im OP oder im Verkauf, wir alle haben gemein, dass wir Menschen sind, so, wie die Evolution uns hervorgebracht hat. Am Ende sind es immer sehr ähnliche Faktoren, die uns erfolgreich machen, in dem was wir tun. Es ist lediglich unsere Definition von Erfolg, die uns unterscheidet.

Sioux City oder wie Hollywood-Helden entstehen

Für unser erstes Beispiel herausragender Führung gehen wir zurück zum 19. Juli 1989 (also etwa 13 Jahre nach Kapitän van Zanten). Wir befinden uns an Bord einer DC10 der United Airlines auf dem Weg von Denver nach Philadelphia. Alles geht seinen normalen Weg. Es fällt nur auf, dass besonders viele Familien mit Kindern an Bord sind. United bot zu dieser Zeit ein spezielles Familienprogramm an. Aber zurück zu unserem Flug: alles läuft recht unspektakulär ab, bis es plötzlich knallt und ab diesem Moment fliegt der Flieger irgendwie anders. Jedem ist klar, dass ein Problem vorliegen muss. Die Ernsthaftigkeit dieses Problems ahnt zu diesem Zeitpunkt neben der Besatzung aber höchsten einer der Passagiere. Dazu gleich mehr.

Im Cockpit stellen die Piloten kurz nach dem Knall fest, dass alle drei Hydrauliksysteme ausgefallen sind und der Flieger aus diesem Grund nicht mehr steuerbar ist. Auf ein solches Problem wurden Piloten im Training nicht vorbereit, weil man es schlicht und ergreifend für unmöglich hielt, dass alle drei unabhängigen Systeme (man braucht nur eins zum steuern, Nummer zwei und drei wurden als Redundanz eingebaut) gleichzeitig ausfallen könnten. An diesem Tag ist es aber passiert. Ursächlich war eines der Fanlaufräder eines Triebwerks, welches brach und dessen Fragmente die Leitungen aller drei Hydrauliksysteme durchschlugen.

So sitzt jetzt also unser Kapitän Alfred, oder kurz Al Haynes am Steuer eines nicht mehr steuerbaren Flugzeuges. Das ist ziemlich ernst. Eine Flugbegleiterin kommt nach vorne und sagt, einer der Passagiere hätte sie angesprochen. Er sei DC10 Fluglehrer und er glaube es gebe ein Problem, bei dem er vielleicht behilflich sein könne.

Es ist mehr als ungewöhnlich, dass Kapitäne in derartigen Notfallsituationen Passagiere ins Cockpit lassen. Allerdings ist Kapitän Haynes klar, dass er jede nur erdenkliche Ressource nutzen muss, um eine realistische Überlebenschance zu wahren. So waren sie also schließlich zu viert im Cockpit, Kapitän Haynes, sein erster Offizier und sein Flugingenieur und der fremde Fluglehrer. Gemeinsam hat man schließlich eine Möglichkeit gefunden, das Flugzeug mittels Triebwerksschub zu steuern: rechts mehr Gas für eine Linkskurve, links mehr Gas für ein Rechtskurve. Hört sich einfach an, ist aber extrem schwer. Trotzdem gelingt es diesem Team, den Flieger auf dem Flughafen vor Sioux City zu landen. Bei der Landung bricht der Flieger in zwei Teile. 110 Passagiere und eine Flugbegleiterin sterben. 185 Menschen überleben. Warum Kapitän Haynes als Held gefeiert wurde und Hollywood die Ereignisse dieses Fluges unter dem Namen “Katastrophenflug 232” verfilmt hat (mit Charlton Heston als Kapitän Hayney)? Nach dem Unglück versuchten viele Piloten, unter ihnen auch Werkspiloten des Flugzeugherstellers, im Flugsimulator diese beschädigte DC10 zu landen. Alle ohne Erfolg. An diesem Tag wurden die 185 Menschenleben nicht durch das fliegerische Können eines Piloten, sondern durch das außergewöhnliche Teammanagement von Kapitän Haynes gerettet. Nur so waren alle Beteiligten in der Lage, ihr volles Potenzial einzubringen.

Kapitän Haynes ist im September letzten Jahres im Alter von 87 Jahren verstorben. Nach diesem 19. Juli 1989 erzählte er, dass es seine ersten Crew Ressource Management oder Human Factors Schulungen waren, durch die er begriffen hat, dass er nicht alles besser kann, nur weil er der Chef ist. Er hat verstanden, dass Chef-Sein bedeutet, alle Ressourcen seines Teams zu nutzen, um erfolgreich zu sein. An diesem einen Tag hat er sich sogar dazu entschieden, auch einen seiner Passagiere als wertvolle Ressource zu sehen.

Liebe Führungskräfte macht nicht den Fehler euch überlegen zu fühlen und zu glauben, ihr könntet oder wüsstet etwas besser, nur weil ihr Chef seid. Nehmt euch lieber hier und da bewusst Zeit, um das Potenzial eurer Mitarbeiter wahrzunehmen, traut ihnen etwas zu und fördert sie. Kapitän Haynes hatte den Mut, genau das zu tun. Belohnt wurde er mit 30 Jahren mehr Lebenszeit! -und einem Hollywood-Film! Aber was ist schon Hollywood?

Wenn Bauchgefühl den Computer schlägt

Für unser zweites Beispiel überspringen wir jetzt gute 20 Jahre Luftfahrtgeschichte. Wir schreiben den 4. November 2010 und befinden uns gemeinsam mit Kapitän Richard De Crespigny und seiner Besatzung an Bord des fast nagelneuen Airbus A380 der Quantas auf dem Weg von Singapur nach Sidney. Neben den 440 Passagieren, befindet sich eine 29 köpfige Besatzung an Bord. Das sind zwei mehr als auf anderen Flügen, weil Kapitän De Crespigny an diesem Tag eine Überprüfung hatte, in Rahmen derer sich ein sogenannter Check-Kapitän die Arbeit des Kapitäns anschaut und beurteilt. Interessanterweise werden auch Check-Kapitäne regelmäßig überprüft und auch das ist auf dem heutigen Flug nach Sydney der Fall. Der Kapitän, der Kapitän De Crespigny überprüft, wird dabei überprüft, ob er sein Überprüfung auch gut und richtig macht. Man kann sich vorstellen, was da im Cockpit los war: eine doppelte Überprüfungssituation und Hierarchiestrukturen, die leicht bedrohlich wirken können. Als Co-Pilot oder Erster Offizier würde ich auf dieser Reise versuchen nicht weiter aufzufallen.

Wie dem auch sei, die Geballte Kompetenz güldener Schulterklappen hebt also in einem riesigen Vogel aus Stahl ab gen Sydney. Bereits kurz nach dem Start gibt es einen lauten Knall und auf einen Schlag geht im Cockpit die zwanzigfache Menge an Fehlermeldungen ein, die normalerweise im Rahmen von Notfallsimulationen geübt werden. Das ist heftig!

In der Luftfahrt gibt es die Regel, dass in Notfällen immer sofort, nur und ausschließlich der Kapitän, des jeweiligen Fluges die absolute Entscheidungsgewalt hat, auch wenn sich höherrangige Piloten mit im Cockpit befinden. Die herausragende Führungsleistung der beiden überprüfenden Kapitäne war, dass sie sich sofort unterordneten und Kapitän De Crespigny so den Raum hatte, den er brauchte, um frei und bestmöglich agieren zu können. Mal ehrlich liebe Führungskräfte, gebt ihr euren Leuten genügend Raum, um sich entfalten zu können? Ohne Freiraum keine High Performance!

Zurück zu Kapitän De Crespigny und seinen Kollegen und all diesen Fehlermeldungen und Systemausfällen: Unser Kapitän unterbricht schließlich das Fehlermeldungs-Referat seines Co-Piloten, weil es ihm nicht helfe, zu hören, was alles nicht funktioniere (die Liste war sehr, sehr, sehr lang). Er müsse jetzt wissen was funktioniere, damit man sehen könne, womit man noch arbeiten (sprich fliegen) kann. Gemeinsam erarbeiten die Männer Möglichkeiten, dieses riesige Flugzeug zu steuern und entscheiden nach Singapur zurück zu fliegen. Die beiden Check-Kapitäne errechnen schließlich mittels Computer die Landedaten, die sicher stellen sollen, dass der Flieger im Anflug schnell genug ist, um keinen Strömungsabriss zu erleiden, dabei aber trotzdem langsam genug um vor dem Ende der Landebahn zum Stehen zu kommen. Schließlich geben sie die Zahlen an ihre Kollegen weiter.

Einen kurzen Moment später ergreift der Co-Pilot, das kleinste Licht im Schatten der Hierarchie-Sterne, das Wort und teilt mit, dass er glaube, dass die Zahlen, die die beiden Check-Kapitäne mittels eines dafür produzierten Computerprogramms errechnet haben, falsch sein müssten. Lebensmüde oder größenwahnsinnig könnte man sich da fragen. Aber Fakt war, dass der Co-Pilot recht hatte. Der Computer hat falsche Zahlen ausgeworfen, die zu einer Katastrophe geführt hätten. Kapitän De Crespigny beriet sich mit seinen Kollegen und vertraute schließlich seinem Co-Piloten. Die Landedaten wurden angepasst und der Flieger konnte sicher in Singapur landen, 469 Menschen waren gesund und unverletzt!

Kapitän De Crespigny wurde zurecht als Held gefeiert, auch wenn er recht bescheiden erklärte, dass das einfach nur eine guten Teamleistung war, in der man mehrere Gehirne zu einem verschmolzen habe. Aber Fakt ist, das hat nur funktioniert, weil Kapitän De Crespigny eine Arbeitsatmosphäre geschaffen hat, die dafür gesorgt hat, dass jeder im Team, auch der Co-Pilot das Gefühl fachlicher Gleichberechtigung hatte. Zudem hatte der Co-Pilot durch seinen Vorgesetzten das Gefühl der Psychologischen Sicherheit (kleiner Seitenhieb auf die Harvard-Professorin Amy C. Edmondson), das er benötigte, um seine Zweifel frei aussprechen zu können.

Liebe Führungskräfte, haben eure Leute das Vertrauen und die Sicherheit, die sie benötigen, um euch im Zweifelsfall vor einem großen Fehler zu bewahren? Als ich vor Jahren Purser, sprich Kabinenchef, wurde, war das die Frage, die mich vor, während und nach jedem Flug sehr intensiv beschäftigt hat. Sie beschäftigt mich bis heute. Ich finde jede Führungskraft ist gut beraten, sich darüber immer mal wieder Gedanken zu machen.

Puh, das war jetzt viel Luftfahrt und viel Technik. Aber ich hoffe, ich konnte euch mit diesem kleinen Exkurs zwei wirklich besondere Männer näher bringen, die vor allem eines eint: Das Wissen um und das Vertrauen auf die Fähigkeiten ihrer Leute, gepaart mit einer realistischen Bescheidenheit bezüglich der eigenen Fähigkeiten! Sie sind oder waren Führungskräfte, aber sie sind weder Superman, noch Gott! Ihnen war in absoluten Hochstresssituationen bewusst, dass zwei ihrer wertvollsten Trümpfe das Können und das Wissen ihrer Mitarbeiter waren. Ein verdammtes Erfolgsrezept meine Damen und Herren Führungskräfte!

Das war’s für heute. Ich wünsche euch einen sonnigen Sonntag und wer noch nicht genug von mir hat, darf gerne mal bei den Blogrebellen vorbei schauen. Über diesen Kanal wurde letzte Woche ein Artikel von mir veröffentlicht, in dem ich mich mit einem absoluten Herzensthema auseinandersetze! Hier der Link!

Eure Constance