Was Piloten meinen, wenn sie von CRM sprechen und was (nicht nur) Ärzte daraus lernen können
Die Krux mit den Akronymen: weil CRM nicht gleich CRM ist
Während in weiten Teilen der Wirtschaft CRM dafürsteht, wie man die Beziehung zu seinen Kunden managt (was sicherlich auch indirekt überlebenswichtig für ein Unternehmen ist) hat CRM in der Luftfahrt tatsächlich eine direkt überlebenswichtige Bedeutung. Bei Flugzeugbesatzungen steht CRM nicht für Customer Relationship Management sondern für Crew Ressource Management. Was ist das und warum rettet das Leben?
Als die Technik immer zuverlässiger wurde
Mit Beginn der kommerziellen Luftfahrt hat man schnell festgestellt, dass man die Flugzeugtechnik dringend verlässlicher gestalten muss, um Ausfälle, Zwischenfälle und Unfälle zu vermeiden. Vorläufiger Höhepunkt dieser rasanten Entwicklung war der 9. Februar 1969 als der Jumbo, die Boeing 747, ihren Jungfernflug hatte. Die Luftfahrttechnik machte Quantensprünge und man fühlte sich an Bord der großen Verkehrsflieger immer sicherer. Doch dann kam das Jahr 1977, in dem zwei technisch perfekt funktionierende Jumbo Jets auf dem Flughafen von Teneriffa zusammenstießen und 583 Menschen auf einen Schlag ihre Leben verloren. Wer mehr über diesen schwarzen Tag der Luftfahrt wissen möchte, findet hier den Link zu einem älteren Artikel, der die Ereignisse dieses Tage ein wenig ausführlicher darstellt. Für heute soll die Erkenntnis reichen, dass es an diesem Tag nicht die Technik war, die versagt hat, sondern der Mensch. Dabei stellte man interessanterweise fest, dass diese Menschen, die versagt haben, sich eigentlich so verhalten haben, wie es Menschen üblicherweise tun: sie waren ungeduldig, glaubten, der andere würde das, was sie sagten, auch so verstehen, wie sie es meinten, sie glaubten, dass der Chef natürlich wusste was er tat und natürlich hörte man nicht richtig zu, weil man mit tausend Dingen gleichzeitig beschäftigt war… Erkennt sich der ein oder andere wieder? Ja, alles total menschlich. In High Risk Environments wie in der Luftfahrt (oder der Medizin) kann diese “Menschlichkeit” schnell tödlich enden. Genau das war die Geburtsstunde des CRM Trainings in der Luftfahrt.
Crew Ressource Management
Der Oberbegriff Crew Ressource Management vereint unter ausgesprochen praxisorientierten Vorzeichen eine Reihe von Forschungs- und Theoriesträngen sozialpsychologischer, soziologischer, physiologischer und pädagogischer Ursprünge, in deren Mittelpunkt die Gestaltung von erfolgreicher Arbeit unter komplexen und dynamischen Arbeitsbedingungen steht. Seinen Ursprung hat CRM, wie gesagt, in der Luftfahrt, allerdings haben die damit verbundenen Ideen inzwischen auch in weitere verlässlichkeitsorientierte Arbeitsfelder Einzug gehalten. Zu nennen wären hier zum Beispiel Kernkraftwerke, Bohrinseln, Feuerwehr, Katastrophenschutz, aber eben auch Krankenhäuser.
Die Grundidee aller CRM-Ansätze liegt in der Annahme, dass Interaktionsprozesse in Teams bei der Bewältigung kritischer Situationen einen deutlichen Einfluss auf den Erfolg haben. Es gibt hierbei Interaktionen, die förderlich im Umgang mit komplexen Situationen wirken, genauso wie solche, die im Umgang mit komplexen Situationen hemmen. Ziel von CRM ist es, das Wissen und die Fähigkeiten jedes einzelnen Teammitgliedes für das Team maximal nutzbar zu machen, also alle Team-Ressourcen optimal und im Sinne der Zielerreichung zu nutzen. CRM bedient sich hierbei der gesamten Bandbreite verlässlichkeitsorientierter Forschungsfelder, wie etwa der Fehlerforschung (Fehlerkultur und Lernen aus Fehlern), der Entscheidungsfindung (analytische Entscheidungsfindungsprozesse) und der Gruppenforschung (Kommunikation, Konfliktforschung, Teamwork, Führung, Backup Behaviour, Feedback, interkulturelle Forschung). Ergänzend dazu befasst sich die Human Factors Forschung mit Faktoren, die die individuelle menschliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Als Grundlage dienen sowohl physiologische als auch psychologische Erkenntnisse (Stressmanagement, Fatigue Risk Management, Wahrnehmungsprozesse, Resilienz).
Kurzgefasst, die Luftfahrt ist so komplex und dynamisch, dass ein einzelner Mensch nicht in der Lage ist alles so weit zu überblicken, um bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Man benötigt ein möglichst vielseitiges und heterogenes Team, das alle benötigten Ressourcen in sich trägt, um erfolgreich (und sicher) von A nach B zu kommen. Genau das hat die Luftfahrt nicht nur mit dem gemeinsam, was wir heutzutage als VUCA-Welt (also diesem Businessumfeld, dass von hoher Dynamik, Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit geprägt ist) bezeichnen, sondern auch mit der Krankenhaus-Welt.
Weil Teamwork Leben rettet
Ähnlich wie in der kommerziellen Luftfahrt, spielt auch in Krankenhäusern die individuelle Einbindung in strikte Hierarchien eine große Rolle. Diese Hierarchien sind aus diversen Gründen notwendig und ich möchte in High Risk Environments das Vorhandensein von Hierarchien auf keinen Fall in Frage stellen. Im Gegenteil! Allerdings ist es in Hinblick auf die erfolgreich Lösung einer Situation wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass (falsch umgesetzte) Hierarchie zwei fatale Auswirkungen haben kann: zum einen liegt es in der menschlichen Natur, dass man davon ausgeht, dass der Chef es ohnehin besser weiß (hierzu könnt ihr gerne auch den sogenannten Halo Effekt googlen), zu andern neigen Menschen dazu, schlechte Nachrichten “chef-tauglich” zu machen, eigene Defizite und Unsicherheiten nach oben zu verschleiern und sich keinesfalls angreifbar zu machen. Es droht eine Kultur des Schweigens.
Die von mir so geschätzte Harvard Professorin Amy C. Edmondson hat einen Teil ihrer Grundlagenforschung zur sogenannten Lernenden Organisation, einer Organisation die schnell und flexibel auf komplexe und dynamische Situationen reagieren kann, in Krankenhäusern durchgeführt. Sie berichtet in diesem Zusammenhang von einer Situation auf einer Frühchen-Station: die junge Krankenschwester, die Edmondson Christina nannte, kümmerte sich um Zwillinge, die bereits in der 27. Woche zur Welt kamen. In einer Fortbildung, die Christina gerade erst erfolgreich absolviert hatte, hat sie gelernt, dass es sinnvoll ist, diesen extrem früh geborenen Kindern ein bestimmtes Medikament zu verabreichen, um die Entwicklung der kleinen, viel zu früh in die Pflicht genommenen Lungen zu verbessern. Dr. Drake, ein sehr erfahrener, älterer Arzt hat dieses Medikament jedoch nicht verschrieben. Christina wollte ihn eigentlich darauf ansprechen, ließ ihre Idee jedoch recht schnell wieder fallen. Sie sagte sich, dass der Arzt sicher selbst besser wisse, was zu tun sei und er sicher seine Gründe dafür habe, das Medikament nicht zu verschreiben (dass er es einfach vergessen haben könnte, kam ihr natürlich nicht in den Sinn). Sicher würde es den Zwillingen gut gehen. Außerdem erinnerte sich Christina an ein Gespräch zwischen Dr. Drake und einer anderen Schwester, das Christina kürzlich zufällig mit angehört hatte. In diesem Gespräch beschimpfte Dr. Drake diese Schwester, weil sie seine Anordnungen hinterfragte.
Ich weiß nicht, wie es mit den Zwillingen weitergegangen ist, aber ich hoffe, dass die beiden ein gesundes und glückliches Leben führen können. Auf jeden Fall beschreibt diese kurze Geschichte eindrücklich, dass Kollegen oder Teammitglieder unglaublich wertvolle Ressourcen darstellen und CRM soll dabei helfen, diese Ressourcen bestmöglich zu nutzen. So einfach und doch so kompliziert!
CRM hat zwei Grundlagen, an denen nicht gerüttelt werden darf: jeder macht Fehler (auch der Chef!) und jeder muss den Mut haben, den Mund aufzumachen (sei es, um eigene Fehler darzulegen, damit man andere davor schützt, evtl. in die gleiche Falle zu tappen, um nach Hilfe zu fragen, oder um andere (auch Vorgesetzte) auf Dinge hinzuweisen, die einem selbst in irgendeiner Art und Weise auffallen oder nicht schlüssig erscheinen. Das alles tut der Mensch nicht gerne. Nein, eigentlich tut er es gar nicht freiwillig. Wer geht dann schon zur Arbeit, um am Ende des Tages als Störenfried, unwissend oder Nichts-Könner dazustehen? In meinen CRM Trainings erwarte ich also ganz schön viel von meinen Teilnehmern. Ich erwarte sehr viel Mut von ihnen, um über ihren Schatten zu springen. Einen solchen Sprung kann ich von einem Menschen nur dann erwarten, wenn er weiß, dass er dabei nicht abstürzt. Diese Sicherungsleine nennt unsere Frau Professor Psychological Safety. -Für Edmondson die Voraussetzung für eine erfolgreiche Lernende Organisation, oder funktionierendes CRM. Es beginnt also mit der Unternehmenskultur.
CRM in der Medizin
Inzwischen gibt es einige Länder die CRM-Systeme wie in der Luftfahrt auch verpflichtend für Teams in Krankenhäusern eingeführt haben. Diese Entscheidung kann ich als potenzieller Patient oder Angehöriger nur begrüßen. Hier würde die Krankenschwester sicher beim Arzt nachfragen. Vielleicht würde der Arzt seine Gründe erklären, das Medikament nicht zu verschreiben und die Schwester würde entspannt nachhause fahren, oder dem Arzt würde auffallen, dass er im Stress etwas vergessen hat und sehr dankbar dafür sein, dass er diesen Fehler korrigieren kann, noch eh er fatale Folgen hat. In jedem Fall würde unser Arzt sich bei der Schwester bedanken und mit dem guten Gefühl weiterarbeiten, dass er kein einsamer Einzelkämpfer ist, sondern ein starkes Team um sich hat, dass mit ihm gemeinsam am gleichen Ziel arbeitet.
Hört sich gut an, oder? Der Weg zu einem solchen miteinander, ist spannend, lohnend, aber definitiv auch umfangreich. Die von Amy Edmondson beschriebenen Psycholigical Safety ist unglaublich eng mit einer Unternehmenskultur verbunden, die ein bestimmtes Menschenbild zur Grundlage hat. Deshalb, liebe Krankenhäuser, oder liebe Unternehmen, es ist zwecklos, eine Seminarreihe einzukaufen und zu glaube, alles wird plötzlich anders. Eh man eine solche Seminarreihe einkauft, ist es sinnvoll sich hinsichtlich der eigenen Kultur zu hinterfragen und auch mal grundgenerell zu überlegen, welches Bild man von seinen Mitarbeitern hat.
Niels Pfläging, für dessen Buch “Organisation für Komplexität” ich letzte Woche über meinen Instagram-Kanal ein wenig (unbezahlte) Werbung gemacht habe, stellt diesbezüglich zwei Theorien dar, die diese unterschiedlichen Menschenbilder wie ich finde sehr gut und verständlich darstellen:
Theorie X: Menschen mögen Arbeit nicht. Sie finden Arbeit generell langweilig. Deshalb benötigen sie Anreize in Form von Boni, bzw. Druck von “Oben”. Außerdem bevorzugen es Menschen klare Anweisungen zu bekommen und Verantwortung übernehmen sie nicht gerne. Hauptmotivation für Menschen in der Theorie X sind Geld und Angst (vor dem Verlust des Jobs). Kreativ sind diese Menschen hauptsächlich immer dann, wenn es darum geht, Regeln zu umgehen.
Theorie Y: Menschen müssen zwar arbeiten, suchen sich aber eine Arbeit, die ihnen auch Spaß macht und sie interessiert. Ihnen ist das Ziel ihres Tuns bewusst und sie arbeiten eigenständig darauf hin. Dabei übernehmen sie auch gerne Verantwortung und verspüren den Wunsch, ihr Potenzial voll nutzen zu können. Kreativität und Ideenreichtum sind weit verbreitet, dieses Potenzial wird jedoch oft (noch) nicht voll genutzt.
Alle Führungskräfte und Manager, die der Meinung sind, dass ihre Mitarbeiter der Theorie X entsprechen, dürfen sich an dieser Stelle gerne ausklinken. CRM wird hier nicht funktionieren, weil man einem solchen Bild folgend niemals die Psychological Safety und das Vertrauen aufbauen kann, dass für funktionierendes CRM notwendig ist.
Eine Kultur des Miteinanders
Natürlich ist es nicht ausreichend, fest daran zu glauben, dass seine Mitarbeiter interessiert, eigenmotiviert und verantwortungsbewusst sind und der Laden läuft. Allerdings ist diese Überzeugung die Voraussetzung dafür, dass Maßnahmen und Schulungen aus dem Bereich, den wir in der Luftfahrt CRM nennen, erfolgreich sein können. Erfolg kann hier alles sein! In High Risk Environments wie Luftfahrt oder Medizin bedeutet Erfolg in erster Linie weniger Tote, weil es zu weniger fatalen Fehlerketten kommt. Erfolg bedeutet aber auch schneller und besser auf sich stetig ändernde Voraussetzungen (wie es auch in dieser komplexen, dynamischen, mehrdeutigen, unsicheren VUCA-Welt der Fall ist) einstellen zu können, dabei alle im Boot zu behalten um alle zur Verfügung stehenden menschlichen Ressourcen bestmöglich nutzen zu können.
Wem der Glaube daran fehlt, dass man durch Team Building, Kommunikationstrainings und dergleichen als Organisation tatsächlich erfolgreicher wird, darf sich gerne mal die Unfallstatistiken der zivilen Luftfahrt aus den letzten fünfzig Jahren anschauen. Hier stellt man fest, dass die Hauptursache für Flugzeugunglücke tatsächlich der Mensch ist (man geht von etwa 80% aus). Allerdings sind schwere Unglücke (besonders in Relation zu den stetig ansteigenden Zahlen an Flügen weltweit) sehr selten geworden, weil der Mensch gemeinsam mit seinem Team durch CRM immer besser geworden ist.
Wie viele und wie umfangreiche Schulungen für diesen Erfolg notwendig waren? In der Luftfahrt gibt es einen zweitägigen Grundkurs und einen jährlichen Refresher. Diese Schulungen finden übrigens “Joint”, das heißt im ganzen Team (positions- und hierarchieübergreifend), statt. Denn CRM ist auch die bewusste Interaktion zwischen (Servant) Leadership und (mutigem) Followership. Dieser eine Workshop im Jahr ist ausreichend, weil die Prinzipien von CRM durch die Kultur im Umgang innerhalb der Crews tagtäglich gelebt werden und vielleicht auch, weil ich als CRM Trainer mir darüber bewusst bin, dass ich keinem meiner Teilnehmer und Kollegen CRM beibringe. CRM lernt man im Prozess der stetigen Selbstreflexion und Achtsamkeit. Mein Seminar liefert hierfür nicht mehr und nicht weniger, als das nötige Gedankenfutter. Denn ich glaube ganz fest an die Y-Typen und auch fest daran, dass ein jeder meiner Teilnehmer, alles das, was er benötigt und wissen muss, schon in sich trägt. Ich habe lediglich die ehrenvolle Aufgabe, meinen Teilnehmern den Weg hin zu den eigenen Ressourcen ein wenig zu beleuchten.
In diesem Sinne, werdet erfolgreicher, rettet Leben und seid dabei vor allem eins: wohlwollend und respektvoll mit euren Kollegen und Teammitgliedern. Sie sind eure wertvollste Ressource!
Eure Constance