Resilienz als Kernkompetenz in einer komplexen und dynamischen Welt
Von Hypes und Modeerscheinungen
Resilienz- Modeerscheinung oder Kernkompetenz? Der Begriff selbst geistert nun schon seit einigen Jahren durch die Wirtschaftswelt und unweigerlich stellt sich die Frage, ob das Thema wirklich so groß und wichtig ist, oder ob es sich um die nächste sprichwörtliche Sau handelt, die durch jedes Dorf getrieben wird. Wir sprechen inzwischen nicht nur von resilienten Individuen, sondern auch von resilienten Systemen und Prozessen, resilienten Teams und sogar von resilienten Organisationen. Was ist dran an diesem vermeintlichen Allheilmittel? Ich selbst bin erstmals vor zwölf Jahren als Human Factors Trainer in der Luftfahrt über dieses Thema gestolpert, als Resilienz in den verpflichtenden Trainingssyllabus für Cockpit- und Kabinenbesatzungen aufgenommen wurde. Was hat es auf sich mit dieser Resilienz? Welche Bedeutung hat dieses Phänomen in einem dynamischen und komplexen Umfeld wie zum Beispiel der Luftfahrt? Dazu musste ich zunächst einmal verstehen, was Resilienz genau ist.
Resilienz - eine Begriffsklärung
Der Begriff Resilienz entspringt dem lateinischen Wort “resilire”, das auf Deutsch so viel heißt, wie “zurückspringen” oder “abprallen” und ursprünglich wurde dieser Begriff auch gar nicht in der Psychologie, sondern in der Physik verwendet. Hier beschreibt er die Eigenschaft eines Körpers (wie zum Beispiel einer Feder), nach seiner Verformung in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Die Psychologie hat den Begriff irgendwann übernommen und beschreibt mit dessen Hilfe die psychische Widerstandsfähigkeit, Krisen zu bewältigen, bzw. die Fähigkeit während oder nach stressvollen Ereignissen seine psychische Gesundheit zu erhalten, bzw. schnell wieder herzustellen. So weit weg von der ursprünglichen Idee der Physik ist das für mich tatsächlich nicht. Ich stelle mir vor, dass meine Seele (oder wie auch immer ihr euer Gefühlsleben zusammenfassen möchtet) durch ein einschneidendes Ereignis kurzzeitig ein wenig aus der Form gerät, dann jedoch wieder in seine ursprüngliche Form zurückfindet und auf dem Weg dahin sogar noch etwas über sich selbst lernt. In der Praxis kann man Resilienz zum Beispiel an Menschen wahrnehmen, die unter widrigsten Umständen groß werden, trotzdem nicht von ihrem Weg abkommen und sich später erfolgreich in die Gesellschaft einordnen. In diesem Zusammenhang hat die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner (die übrigens in Eltville am Rhein geboren wurde) in der zweiten Hälfte der 20. Jahrhunderts eine richtungsgebende Studie durchgeführt, die unter dem Namen Kauai Studie in die Annalen der Resilienzforschung eingegangen ist.
Eine weitere viel beachtete Studie hat der US-Amerikaner Aaron Antonowsky mit Holocaust-Überlebenden durchgeführt. Hier fiel auf, dass es Überlebenden von Verfolgung und Konzentrationslagern gab, denen es nach ihrer Befreiung recht schnell gelang wieder Fuß zu fassen und sich ein erfülltes und glückliches Leben aufzubauen. Andere hat der Schrecken der Schoah zeitlebens so intensiv verfolgt, dass sie nicht mehr in der Lage waren, sich ein normales und zufriedenstellendes Leben aufzubauen. Erlebt hatten beide Gruppen durchaus Vergleichbares. Der Unterschied war, dass die Teilnehmenden aus der ersten Gruppe allesamt eine höhere Resilienz aufwiesen, als die der zweiten Gruppe. Mit einer hohen Resilienz ist es den Menschen schneller gelungen, sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen, im Schrecken, wie im Schönen, und den Blick in die Zukunft zu richten, um die Vergangenheit weitestgehend zurückzulassen.
In der Psychologie wird Resilienz auch immer wieder Zusammenhang mit Menschen verwendet, die jede nur denkbare Art der Lebenskrise (schwere Krankheit, Krieg, Drogenabhängigkeit, etc.) erfolgreich durchstehen, oder die sich von plötzlichen Traumata (plötzlicher Verlust eines nahen Angehörigen, Vergewaltigung, etc.) zügig und vor allem abschließend erholen. Es geht also um die Flexibilität unserer Seele.
Wo kommt meine eigene Resilienz her?
Die wissenschaftliche Suche nach den Ursprüngen der individuellen Resilienz ist eine noch recht junge und aktuelle Suche. In den Jahren 2008, 2012 und 2014 kamen drei unabhängige Studien mit Zwillingen zum Schluss, dass etwa 40 Prozent unserer individuellen Resilienz genetisch bedingt ist. Ob das jetzt viel oder wenig ist? Keine Ahnung. Immerhin bleiben ganze 60 Prozent übrig, die zum einen durch individuelle Erfahrung geprägt sind, die wir insbesondere im Laufe unserer Kindheit und Jugend machen. Zum anderen hängt Resilienz auch mit unserer inneren Haltung oder unseren inneren Bewertungsprozessen zusammen. Manchmal ist es einfach nur eine bewusste Entscheidung, ob das Glas denn nun halb voll oder halb leer ist. Bei all der Genetik und dem Umstand, dass ich neben meinen Genen auch meine Kindheit nicht mehr ändern kann, empfinde ich das als tröstlich. Ich kann offensichtlich selbst an meiner Resilienz arbeiten. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass Resilienz tatsächlich trainierbar ist. Die US Army führt seit 2009 gemeinsam mit der Universität von Pennsylvania ein sehr aufwendiges und kostenintensives Resilienztraining für ihre Soldaten durch und auch bei der Bundeswehr gewinnt die “psychische Ressourcenstärkung” zunehmend an Bedeutung. In diesen Trainings geht es ähnlich wie in meinen Coachings vor allem um Mindset-Arbeit, um die bewusste Reflexion der eigenen Haltung und um Strategien zur bewussten Gestaltung dieser Haltung. Die Zielsetzung dieser speziellen Trainings im Kotext der Streitkräfte ist es, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einem traumatischen Erlebnis im Einsatz zu minimieren. Je resilienter der Mensch, desto geringer die Wahrscheinlichkeit als Folge eines Traumas an einer PTBS zu erkranken.
Und was ist mit all jenen, die nicht in den Krieg ziehen?
Auch wenn sich unsere dynamische, komplexe, mehrdeutige und ungewissen Welt, die wir inzwischen kurz als VUKA beschreiben, ein bisschen nach Krieg, oder wenigstens nach einer schweren Schlacht anhört, ist wirklicher Krieg für die meisten von uns zum Glück sehr weit weg. Ja, der ein oder andere Kunde, Chef oder Kollegen lässt anderes vermuten und auch die Konkurrenz stellt hier und da ein verdammtes Drohszenario dar. In den aller wenigsten Fällen hat das jedoch wirkliches Potenzial für ein Trauma! Also was um alles in der Welt sollen wir Otto-Nomarlos in Friedenszeiten mit Resilienz?
Resilienz als Kompetenz in einer komplexen und dynamischen Welt
Unsere (Arbeits-) Welt ist in den letzten 30 Jahren immer dynamische und komplexer geworden und wir Menschen sind gut beraten uns immer wieder und wieder anzupassen. “Change” oder Veränderung ist schon lange kein singuläres Event mehr, sondern vielmehr ein Dauerzustand. Nichts ist so gewiss wie die Ungewissheit und nichts ist so sicher wie die Veränderung. Um hier flexibel mitgehen zu können, braucht es eine flexible Seele, oder eine hohe Resilienz.
Auch Führung hat sich in diesem Kontext stark verändert. Traditionell war es der Chef, der die höchste fachliche Kompetenz hatte und aus dieser Kompetenz heraus genau sagen konnte, wer was wie und wann machte, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Inzwischen geben Chefs nach wie vor das Ziel vor. Der Weg dort hin ist nicht selten eine Einzelfallentscheidung. Rahmenbedingungen und auch technische Voraussetzung verändern sich so schnell, dass auch der Weg zum Ziel sich stetig verändert. Und an dieser Stelle betrachten wir ausschließlich die gestiegene Dynamik. Das Thema Komplexität lasse ich hier zur Vereinfachung der Betrachtung außen vor. Der Job von Führung im Rahmen der Zielerreichung ist es folglich vor allem Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer die Mitarbeitenden selbstständig erarbeiten, was genau sie wann und wie tun müssen, um das Ziel zu erreichen. Diese neue große Freiheit auf Teamebene hat einen Preis: Der oder die einzige, die mich in diesem neuen Kontext, den wir gerne als New Work bezeichnen, vor einer Überlastung bewahren kann, bin ich selbst. Gefragt ist an dieser Stelle die Fähigkeit der sogenannten bewussten Selbstführung, die uns differenziert entscheiden lässt, wie stark wir uns abgrenzen müssen oder möchten, wo wir eine ausgewogene Balance zur Perfektion ziehen und wie bewusst wir unsere Erfolge wahrnehmen, um nicht im Hamsterrad der New Work verloren zu gehen. Nun sind wir also wieder beim Modell von Iris Fischer, das ich euch bereits in meinem letzten Artikel vorgestellt habe und kehren zurück zu meiner initialen Frage: Ist Resilienz eine Modeerscheinung? -Ganz klar nein! Aus meiner Sicht handelt es sich bei Resilienz nicht nur um eine absolute Kernkompetenz in der modernen Arbeitswelt, sondern auch um eine wertvolle Überlebensstrategie in wunderschönen, aber auch dynamischen, komplexen und unklaren Zeiten.
Wie leer oder voll sind eure Gläser? Wie ist es um euere Haltung bestellt und wie flexibel seid ihr? Die Beschäftigung mit diesen oder ähnlichen Fragen ist ein erster Schritt, sich dem großen Thema Resilienz selbstständig anzunähern. Für all jene, die tiefer eintauchen wollen oder vielleicht sogar das Gefühl haben zu müssen, stehe ich in meiner Rolle als Coach sehr gerne zur Verfügung. Die ein oder anderen Idee, wie ich arbeite, habe ich euch ja bereits im letzten Artikel dargestellt.
Eure Constance