Wir rennen und rennen und das Glück rennt hinterher
Die Suche nach dem Glück
Vierter Advent! Weihnachten steht vor der Tür und ein Jahresrückblick jagt den nächsten. Auch ich habe mein ganz eigenes Jahr Revue passieren lassen. Die Bilanz war desaströs! Objektiv betrachtet hätte ich von schweren Depressionen geplagt die meiste Zeit in der hintersten Ecke meines Zuhauses sitzen müssen. 2020 war nicht nett und hat sehr viele gute Gründe zum Unglücklich-Sein geliefert. Komischerweise war ich aber gar nicht unglücklich. Insgesamt würde ich sogar sagen, es war für mich trotz aller Sorgen und Ängste und dem Gefühl zu wenig zu tanzen und zu viel allein zu sein ein glückliches Jahr! Verrückt, oder? Grund genug für mich, um mir einmal ausführlich Gedanken darüber zu machen, was Glück denn überhaupt ist und wo es herkommt. Meine kleine Abhandlung zum Glück möchte ich gerne mit einem Zitat aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper einleiten:
Das wirklich spannende am Glück ist, dass es so viele Ideen davon gibt, was Glück sein könnte, wie es Menschen auf der Welt gibt.
Aristoteles schrieb, dass Glück Selbstgenügsamkeit sei. Für Pessimisten ist Glück die Abwesenheit von Leiden. Hedonisten würden sagen, dass Glück Konsum sei (Schuhe kaufen macht definitiv glücklich!). Albert Schweitzer war der Meinung, Glück sei eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis. Für Harald Juhnke war Glück leicht einen sitzen und keine weiteren Termine zu haben. Für den Neurobiologen ist Glück ein biochemischer Vorgang, der am einfachsten durch die Einnahme von Drogen hervorzurufen sei (Glühwein tut es dieser Tage vielleicht auch!). Es gibt Länder, die angeblich besonders glücklich oder besonders unglücklich sind. Es gibt Lebensphasen, in denen der Mensch glücklicher ist, als in andern. Am unglücklichsten sind wir wohl zwischen 35 und 54, sagt die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot. Es gibt die Idee, dass Geld glücklich mache. Hierzu sagt der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann, dass dafür 65.000 Euro Jahresgehalt ausreichend seien, die Soziologin Hilke Brockmann hingegen sagt, das hänge davon ab, wieviel die Menschen um uns herum so hätten. Ungleichheit mache unglücklich. Das ist laut Brockmann übrigens der Hauptgrund dafür, warum die skandinavischen Länder beim Glücksindex stets ganz weit vorne landen: geringe soziale Unterschiede! Was definitiv unglücklich macht, sind Hunger, Krieg, Korruption. Am Ende der aktuellen Glücksliste befinden sich der Südsudan, Syrien und der Jemen.
Wir brauchen Fakten!
Fakt ist, die Suche nach dem Glück scheint so alt wie die Menschheit. Allerdings gilt es hierbei zu beachten, dass die Suche nach dem Glück ausgesprochen unglücklich machen kann. Forscher der University of Reading haben anhand einer Studie belegt, dass die Menschen, die sich besonders darum bemühen, glücklich zu sein, am häufigsten am Glück scheitern und ein erhöhtes Risiko haben, an Depressionen zu erkranken.
Dieser Cocktail aus körpereigenen Opiaten, wie zum Beispiel Endorphin, welches unser Hirn ausschüttet, wenn es feststellt, dass sein Mensch gerade glücklich ist, hat offensichtlich verdammtes Suchtpotenzial. -Biochemie eben.
Als ich mich also auf die Suche nach dem machte, was mich auch in diesem, für mich eher einsamen, Jahr glücklich gemacht hat, tauchte eine These immer wieder auf: Glück ist immer auch eine Entscheidung! Aber ist das wirklich so?
Während meiner Recherchen bin ich zunächst auf die Aussage gestoßen, dass unser Gehirn gar nicht dafür gemacht ist, permanent glücklich zu sein. In den Fünfzigerjahren gab es hierzu eine Studie des Psychologen James Olds, der das Belohnungszentrum von Ratten mit Strom stimulierte, wann immer diese einen bestimmten Hebel drückten. Die Ratten drückten diesen Hebel bis zur Erschöpfung. Sie vergaßen sogar zu essen. Dieses unendliche Glücksgefühl hat sie fast umgebracht. Wer von euch hatte auch schon einmal Phasen, in denen er permanent und fast blind für potenzielle Gefahren auf der Suche nach dem nächsten Kick war? -Biochemie eben.
Der verrückte Professor und das Glück
Wenn Wissenschaftler sich mit Glück beschäftigen, gehen sie häufig von zwei unterschiedlichen Arten von Glück aus:
Das Glück als Hochgefühl, dieser Kick, dem sich die Ratten in Olds’ Versuch hemmungslos hingegeben haben, weil dieses Hochgefühl ein flüchtiger Zustand ist, der schnell vorbeigeht und einen mit Hunger auf mehr zurücklässt.
Das Glück als Zustand der Zufriedenheit, den wir allgemein in unserem Leben spüren. Im Gegensatz zur ersten Erscheinungsform von Glück, ist diese Form von Glück deutlich nachhaltiger.
Vom Glück und der Zufriedenheit
Für den Neurobiologen Gerhard Roth ist diese zweite Glücksform so etwas wie ein Ausgangslevel, von dem aus wir das Hochgefühl des Glücks erleben. Dieses Ausgangslevel ist bei uns Menschen auf unterschiedlichen Niveaus angesiedelt. In Zwillingsstudien wurde festgestellt, dass dieses Ausgangslevel, diese allgemeine Lebenszufriedenheit, in Teilen sogar genetisch bedingt ist. Der Rest hängt zum einen von Umweltfaktoren und Sozialisation ab, aber auch davon, wie wir mit Chancen und Möglichkeiten umgehen. Das heißt, ein Teil dieser Lebenszufriedenheit liegt in unserer eigenen Hand.
Laut Roth halten diese berauschenden Glücksmomente, die Glück Nummer eins Hervorruft, bei Menschen mit einem hohen Level an Lebenszufriedenheit (also Glück Nummer zwei) deutlich länger an.
Das ist spannend! Ich sollte also nicht in erster Linie nach dem Glück suchen, sondern lieber erstmal nach Zufriedenheit, denn je zufriedener ich bin, desto berauschender fühlen sich auch schon winzig kleine Glücksmomente an.
Insgesamt stellte sich Gerhard Roth tatsächlich als dankbare Quelle für meine Glückssuche heraus, habe ich bei ihm doch nicht nur Erklärungen dafür gefunden, was Glück ist, sondern auch durch was es hervorgerufen wird. Hierbei unterscheidet er zwischen drei unterschiedlich gelagerten Quellen für Glück:
Als erste Quelle für Glück nennt Roth die materielle Belohnung (wie zum Beispiel eine Gehaltserhöhung oder eine Bonuszahlung). Hierbei wird im Gehirn eine Region stimuliert, die sich Nucleus Accumbens nenne. Diese Region ist ein kleiner Nimmersatt, der recht schnell auf einen Stimulus anspringt, genauso schnell aber wieder abflacht und dadurch ein ausgesprochen vergängliches Glücksgefühl verursacht, das postwendend nach mehr verlangt und dauerhaft nur schwer zu stillen ist. Liebe Chefs, Gehaltserhöhungen oder Boni sind toll, wenn ihr der Meinung seid, dass der Mitarbeiter sich das durch seine Leistung verdient hat. Zur nachhaltigen Motivation ist beides aber total ungeeignet! -Biochemie eben!
Quelle Nummer zwei ist in Roths System die soziale Belohnung. -Also Anerkennung, Lob oder auch das gefährliche Gefühl von Macht. Hierbei werden Hirnareale stimuliert, die auf einer bewussteren Ebene angesiedelt und deshalb auch etwas nachhaltiger sind. Doch auch diese Glücksquellen sorgen nicht für dauerhaftes Glück und müssen deshalb immer weiter gefüttert werden. Bei Lob, Respekt und Anerkennung sehe ich das erst einmal unkritisch. Wird der Machthunger jedoch zum Selbstläufer, kann es unschön enden und vor allem die Mitmenschen unglücklich machen.
Roths dritte Quelle ist die einzige aller Glücksquellen, die nicht stetig durch ansteigende Dosen an Belohnungen stimuliert werden muss. Roth spricht hier vom sogenannten intrinsischen Glück, das sich direkt mit der eigenen Lebenszufriedenheit verbindet und somit deutlich länger in unserem Leben zu Gast bleibt, als all die anderen Glücksformen. Dieses intrinsische Glück hat seinen Ursprung in der Erfahrung, Freude und Sinnhaftigkeit bei dem zu empfinden, das man tut. Hierbei kann es sich um die Familie oder Hobbies, aber auch um die Arbeit handeln. Wirklich glücklich sind eben am Ende die, die nicht das Gefühl haben, ihre kurze Zeit auf Erden sinnlos zu verstolpern!
Vom Glück und der Entschleunigung
Was ich jetzt aus diesen Infos für mich mitnehme? Sehr gute Frage. Manchmal fange ich einfach an zu tippen und weiß nicht, wo die Buchstabensuppe mich hintragen wird! Was nehmt ihr denn mit? Habt ihr mal darüber nachgedacht, was eurem Leben Sinn gibt, euch Freude macht? Sich diese Frage zu stellen und sie auch mutig zu beantworten, bringt uns dem Glück viel näher als Brechts Rennerei, stetig getrieben von einer Gesellschaft, deren Kardinalsfehler es ist, Erfolg mit Glück gleichzusetzen.
Warum ich dieses Jahr glücklich war? Weil Corona mich dazu verdammt hat, aus der Rennerei auszusteigen um die Zeit zu nutzen, meinen inneren Kompass neu zu finden. Es war der Luxus, mir die Frage stellen zu dürfen, was mein intrinsisches Glück ausmacht, in welche Richtung mich mein innerer Kompass führen möchte, damit ich meine Zeit auf Erden eben nicht verstolpere. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne arbeite, dass meine Arbeit ein für mich essentieller Teil meines Lebens ist. Mir ist dieses Jahr tatsächlich bewusst geworden, dass ich noch mindestens 24 Jahre arbeiten werde. Ich kam nicht umhin, mich fragen zu müssen, wie diese Jahre aussehen sollten, um auch weiterhin glücklich zu sein. Mir wurde klar, dass ich eine Perspektive brauche, um mich weiterentwickeln zu können und ich musste mir eingestehen, dass ich diese Perspektive bei meinem so geliebten Arbeitgeber nicht habe. Aristoteles hat neben seiner Idee, dass Glück Selbstgenügsamkeit sei, auch festgestellt, dass zum Glück immer auch Mut gehört. Das kann ich bestätigen. Weil ich mutig war, konnte ich die Chance, die sich mir im November geboten hat, ergreifen. Im Januar schlage ich ein ganz neues Kapitel in meinem Leben auf, dass mir sicher für einige Jahre die Möglichkeit bietet, zu lernen, zu wachsen und mich weiterzuentwickeln und dabei der von mir so geliebten und als sinnhaft empfundenen Arbeit als Human Factors Trainer oder jetzt eben als Agile Coach nachgehen zu dürfen, ganz nah am Menschen!
Sinnessuche zu Weihnachten
Heute, da ich diese Zeilen niederschreibe, ist Freitag. Am Vormittag habe ich meine Arbeitsmaterialien und Unterlagen, inklusive Dienstausweis, abgegeben. Ein wirklich emotionaler Moment. Besonders emotional wurde es jedoch vor etwa fünf Minuten. Es gibt Geschichten, die nur das Leben schreiben kann und Kreise, die sich stillschweigend schließen. So habe ich gerade die Information bekommen, dass die Kollegin, die vor 21 Jahren meine Grundausbildung geleitet hat, heute verstorben ist. Liebe Astrid, Stewardessen sterben nicht, sie fliegen nur etwas höher… Unsere Zeit auf Erden ist in der Tat kostbar und wir wissen alle nicht, wo unsere Uhr steht. Aber durch Rennen halten wir diese Uhr nicht an und durch Rennen geben wir unserem Leben keinen Sinn. Manchmal ist das Gegenteil der Fall: wir rennen so schnell, dass wir an diesen flüchtigen Glücksmomenten vorbeilaufen, ohne sie wahrzunehmen… Wir rennen und rennen und das Glück rennt hinterher.
Ich wünsche euch allen ein friedliches, gesegnetes Weihnachtsfest mit Glücksmomenten und viel Zufriedenheit. Aber vor allem wünsche ich euch Zeit zum glücklich sein!
Eure Constance