Hünstetten-Maastricht und zurück! Das Ende eines verrückten Jahres...
… und vielleicht auch nur der Anfang eines noch verrückteren Jahres
Einmal mehr neigt sich ein Jahr dem Ende zu. Für mich war es ein besonders verrücktes Jahr und nicht zuletzt deshalb habe ich entschieden, diesen vorletzten Artikel im Jahr 2022 zu einem ganz persönlichen zu machen.
Hünstetten-Maastricht: 252 Kilometer, die es in sich hatten
All jene unter Euch, die mir auch in den sozialen Medien folgen, haben mitbekommen, dass ich in der letzten Woche Gastgeber eines Workshops für Studierende im Master-Jahr Wirtschaftspsychologie an der Universität Maastricht sein durfte. Eine Ehre, die mir das Gefühl gibt, riesengroß und winzig klein zugleich zu sein. Ich habe diesen Traum, diesen Purpose, die Welt zu verändern, sie (noch) lebenswerter zu machen, indem ich Menschen dabei unterstütze gerne zur Arbeit zu gehen, ihr Potenzial voll zu nutzen und ihre Ressourcen möglichst komplett einzubringen. Wie könnte ich wirksamer sein, als in der Arbeit mit jungen Menschen, den Menschen, die unsere Zukunft fest in ihren Händen halten und die all jene zwingend notwendigen (gesellschaftlichen) Veränderungen umsetzen werden, von denen wir immer wieder (nur) sprechen? Als die Anfrage aus Maastricht kam, ob ich Interesse daran hätte, einen Workshop im Rahmen des Master-Jahres durchzuführen, konnte ich mein Glück kaum fassen. Natürlich war ich sofort Feuer und Flamme. Das Konzept und der Workshop selbst entwickelten sich quasi von alleine, ist mir doch schon seit Jahren klar, was ich diesen jungen Menschen mitgeben möchte.
Alles war wie in einem Traum und erst im Auto auf dem Weg von Hünstetten nach Maastricht wurde mir bewusst was gerade passiert und natürlich kam ich nicht umhin, mich zu fragen wie das alles passieren konnte. Gefühlt habe ich mein Leben auf 252 Kilometern wie einen Film vor mir ablaufen lassen: Meine Kindheit, meine Eltern, die ich leider schon so lange vermisse, jeden Tag. Mir wurde bewusst, dass ich sie an diesem Tag ganz besonders vermisste. Niemand auf dieser Welt würde so stolz auf mich sein, wie sie es gewesen wären. Meine Mama wäre stolz auf das, was ich erreicht habe, mein Papa wäre stolz darauf, dass ich mir selbst treu geblieben bin, dass ich mich nicht verbogen habe. Es würde nicht ein Teil von mir, ein professioneller und ambitionierter Teil von mir sein, der am nächsten Tag am Pult der Uni stehen sollte. Ich würde es sein, ich selbst in all meinen Facetten und meiner gesamten Persönlichkeit, mit Stärken und Schwächen, mit meinen Fehlern und all meinen Flausen im Kopf würde dort stehen. Vielleicht kann man im Leben nicht mehr erreichen, als man selbst sein zu können.
So flog ich über die A3. Der Himmel war recht grau, aber auch das konnte meine Laune nicht trüben. Ich genoss jeden Kilometer. Irgendwo im Nirgendwo habe ich mir einen Kaffee gegönnt. Der wahrscheinlich beste Raststätten-Kaffee aller Zeiten. Ich saß da, schaute auf die Autobahn und fühlte mich ziemlich groß und erhaben.
Aber nicht nur die großen Momente flogen an mir vorbei. Auch die, in denen ich mich winzig klein gefühlt habe, waren präsent. 252 Kilometer sind eben schon ein ganzes Stück Weg. Irgendwann nach meiner Kaffeepause spürte ich auch wieder, wie klein ich mich fühlte, als ich mit Anfang zwanzig bei Condor anfing. Mein erster richtiger Beruf und ich hatte das Gefühl, am besten unsichtbar sein zu wollen, da alle anderen so viel besser waren, so viel mehr wussten, so viel mehr Erfahrung mitbrachten… Just in diesem Moment saß ich in einer Schulung, die sich Crew Ressource Management nannte. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich verstanden, dass das, was ich als Schwäche sehe, auch eine Stärke sein kann. Ich lernte, dass Unerfahrenheit den Vorteil eines klaren Blickes hat. Erfahrung ist toll, kann aber auch blind machen. Ich lernte, dass ich richtig war, so wie ich war, mit dem was ich mitbringen konnte. Mein Job sollte es sein, den Mund aufzumachen, zu sprechen, zu fragen. Versuchen, unsichtbar zu sein sollte keine Option mehr für mich darstellen, denn ich war wichtig!
Genau das sollte auch meine Message an die Studierenden werden. Klar ging es auf fachlicher Ebene um Human Factors Training, die Konzepte, Ideen, Ansätze und wie man die Ansätze aus der Luftfahrt in die Business-Welt übersetzen kann. Aber ein guter Workshop braucht immer auch eine Message auf der Metaebene. Ich würde von einem junge und unerfahrenen Co-Piloten erzählen, der sich nicht traute, seinen Kapitän und dessen Entscheidung in Frage zu stellen. Ich würde davon erzählen, wie viele Menschen mit Hoffnungen und Träumen an diesem Tag ihr Leben verloren. Und ich würde von dem Co-Piloten erzählen, der nicht nur seinen Kapitän, sondern auch den Ausbildungskapitän, der seinen Kapitän überprüfen sollte und die hochentwickelte Software des Fliegers in Frage stellte und damit vielen Menschen das Leben rettete…“Du bist wichtig! Deine Stimme ist wichtig!” -Das sollten wir uns alle immer wieder ins Gedächtnis rufen.
Bitte nicht losheulen…
In Maastricht angekommen wurde ich herzlich und warm empfangen. Was irgendwann als fachlicher Austausch begann ist inzwischen längst zu einer Freundschaft geworden und Corinna hat mir nicht nur die Stadt und die Uni gezeigt. Ich wurde lecker bekocht, Pasta mit Garnelen! Am nächsten Morgen gab es das wunderbarste Frühstück gegen Aufregung und während meines Vortrags saß Corinna in der ersten Reihe und strahlte mich an.
Nein, wir Menschen sind keine Inseln. Wir brauchen andere Menschen, die an uns glauben, uns umsorgen, für uns da sind, mit uns lachen und mit uns weinen. Während ich meinen Workshop am Morgen vorbereitete, dachte ich, ich habe diese Menschen im Überfluss. Ich könnte nicht reicher sein. Ja, ich habe leider auch schon viele dieser Menschen verloren und besonders meine Eltern sind unersetzlich. Wo ich jedoch hinschaue sind Hände, die sich mir entgegenstrecken. Viele davon tun es einfach so, ohne Grund, einfach nur weil sie es können, oder weil ich ihnen wichtig bin. Es wäre nicht fair, einzelne hervorzuheben. Aber ich bin sicher auch ein Produkt derer, die an mich glauben und geglaubt haben.
Als die Aufregung immer deutlicher spürbar wurde, habe ich sie mir alle für einen kurzen Moment vor Augen geführt. Ich habe mir vorgestellt, all diese Menschen würden im Auditorium sitzen. Mit einem Schlag wurde es ganz warm und ich wusste, ich würde gut sein. -Was auch immer das bedeuten sollte.
Natürlich ging der Workshop viel zu schnell vorbei. Wie einer dieser flüchtigen zauberhaften Träume, die man so gerne festhalten würde. Als ich wieder zu mir kam stand ich da, umringt von jungen Menschen, die sich bedankten, für den Inhalt, aber auch für die Erinnerung daran, wie wichtig sie sind, wie wichtig das ist, was sie zu sagen haben. Eine junge Frau erzählte mir, dass sie sich gerade in den letzten Wochen häufig klein gefühlt habe, lieber geschwiegen habe, weil die Unsicherheit einfach zu stark war. Sie sagte, mein Vortrag hätte ihr so gutgetan, ihr Mut gegeben. Ich war so gerührt und dankbar und ich war froh, dass ich die Tränen gerade noch zurückhalten konnte. Es sind die winzig kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Wenn ich nur einen einzigen Menschen erreiche, habe ich die Welt schon ein kleines bisschen verändert!
Maastricht-Hünstetten: Don’t stop believing…
Schon war wieder alles vorbei! In der Mensa gab es noch einen kleinen Snack und ein spannendes Gespräch und schon stand ich im Stau stadtauswärts. Äußerlich gesehen war ich im “Stop-and-Go” gefangen, innerlich bin ich geflogen. “Don’t stop believing’” von Journey dröhnte auf voller Lautstärke und da war er wieder, einer dieser flüchtigen tiefe Glücksmomente!
Auf dem Weg nachhause, der mir tatsächlich auch noch den ersten Schnee des Jahres servierte, schossen mir so unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Ich dachte an das letzte Gespräch mit meinem Vater, ehe er zu schwach für klare Gedanken und lange Gespräche wurde. Wir saßen auf dem Krankenhausflur vor einer Wand aus Glasbausteinen. Draußen wurde es Herbst. Papa aß eine Portion Erdbeereis. Längst war klar, dass ihm nicht mehr viel Zeit in diesem Leben bleiben sollte. Ich denke, ihm selbst war es noch viel bewusster als mir, dass es an der Zeit war, die Dinge anzusprechen, die es aus seiner Sicht nochmal anzusprechen galt.
Ich selbst war noch so jung. Der Weg war für mich das Ziel und in den letzten Jahren habe ich mich einfach treiben lassen. Ich habe das Leben in vollen Zügen genossen, auch weil meine Eltern mir dafür den Raum gelassen haben. Ich bin durch die Welt und durchs Leben geflogen, im festen Vertrauen, dass mir noch unendlich viel Zeit bliebe. Ich weiß, dass mein Papa mir diese Freiheit von Herzen gönnte. Dennoch schien er sich Gedanken zu machen. Was wenn er mir keine Richtung mehr geben könnte? In welche Richtung würde ich ohne ihn fliegen? Wir haben über den Sinn des Lebens gesprochen. Damals war ich zu jung es zu verstehen. Da sich unser Gespräch jedoch tief in meine Seele gebrannt hat, kann ich es immer wieder durchleben und heute weiß ich, dass er versucht hat, mich zu ermutigen mein Ziel, meine Richtung, meinen Purpose zu finden. Es war sicher nicht leicht für ihn zu akzeptieren, dass ich meinen Sinn damals im Hier und Jetzt hatte. -Dass es mir um den Moment, den Spaß und das treiben lassen ging. Allerdings ließ er irgendwann im Verlauf des Gesprächs los. Ich denke er hat sich entschieden, darauf zu vertrauen, dass ich dieses Ziel, diese Ausrichtung irgendwann auch ohne ihn finden würde. Nur zu gerne würde ich ihm sagen, dass er recht hatte, mit allem! -Und dass ich meinen Fixstern gefunden habe, der mich antreibt und mich erfüllt.
Der Weg zurück in sein Zimmer schien für meinen Papa ein echter Marathon gewesen zu sein. Eigentlich waren es nur ein paar Meter. In seinem Bett angekommen war dieser fast zwei Meter große Mann erschöpft und müde. Ich habe mich verabschiedet und mich auf den Heimweg gemacht. In der Tür drehte ich mich nochmal um und ich konnte nicht fassen wie schwach mein Papa geworden war. Am nächsten Tag kam der Anruf, dass er auf die Intensivstation verlegt werden musste.
Journey dröhnte weiter in einer Endlosschleife. Draußen wurde es langsam dunkel und ich war wieder auf einer deutschen Autobahn. Endlich wieder Gas geben! Für einen kurzen Moment habe ich nochmal die Traurigkeit gespürt, die der Tod meiner Eltern mitgebracht hat. Diese tiefe Traurigkeit ist zum Teil meines Lebens geworden, ebenso wie die Dankbarkeit für all die Erinnerungen, die ich in meinem Herzen trage. Beides gibt mir Kraft, macht mich stark und ziemlich furchtlos!
Verrückt, was seit diesem Erdbeereis auf dem Krankhausflur alles passiert ist. Mein Leben hat Fahrt aufgenommen. Ich habe an die gute alte Condor gedacht, die in den schweren Zeiten eine wirklich wichtige Konstante in meinem Leben war. Ich habe an all die tollen Kollegen gedacht, an die Flüge und an den Moment, als ich selbst mein erstes Crew Ressource Management Training geben durfte, als frisch gebackene Trainerin. Das war kein Highlight! Ein Kollege, den ich sehr mochte und der leider auch schon seit einigen Jahren nicht mehr lebt, hat mir das Zepter total aus der Hand genommen. Verdammt, ich hatte die Kontrolle über meinen Lehrsaal komplett verloren! Danke Schröder!
Zum Glück habe ich noch eine zweite und dritte Chance bekommen. Überhaupt bin ich ein Produkt zweiter und dritter Chancen. Aber es waren nicht nur die anderen, die mich nicht aufgegeben haben. Auch ich habe mich nie aufgegeben. Ich habe wirklich hart für das gearbeitet, was mich heute ausmacht. Ja, es gab Momente da hätte ich mir gewünscht, dass das Leben das ein oder andere Geschenk für mich bereitgehalten hätte. Aber ich musste arbeiten, an mir, mit mir und für mich!
Im Hier und Jetzt mit dem Blick ins Morgen und Übermorgen
Draußen ist es inzwischen dunkel. Die Lichter glitzern bunt im Schneeregen. Noch eine gute Stunde bis zuhause. Langsam aber sicher wurde ich müde. Was für ein letzter großer Akt eines großen Jahres. Ich spürte ganz viel stolz, zumal ich auch im nächsten Jahr wieder nach Maastricht kommen darf um mit einer neuen Gruppe junger Studierender zu arbeiten. Das Rad würde sich also weiterdrehen. Dieser letzte Akt ist gefühlt auch ein Startschuss! Die Welt hält eben nicht inne, egal was passiert. Ich musste unwillkürlich an den Moment denken, in dem ich meiner Mama eine gute letzte Reise wünschte. Es war sehr früh morgens, kurz vor Ostern, als meine Mama sich auf ihre letzte Reise gemacht hat. Ich war allein mit ihr im Zimmer und für mich blieb mit Mamas Herzschlag auch die Welt stehen. Gleichzeitig fingen draußen an die Vögel zu singen und die Sonne ging langsam auf.
Die Welt dreht sich eben immer weiter. Während ich im Auto saß - müde, erschöpft, stolz - dachte ich daran, dass auch heute keine Zeit ist, inne zu halten. Am nächsten Morgen würde meine Ausbildung zum Change Manager beginnen. Immer in Bewegung. Aber so habe ich es mir ausgesucht und nur so macht es für mich Sinn. So lange sich meine Welt dreht, werde ich mich mit drehen, mich entwickeln und lernen, im Hier und Jetzt sein, aber auch das Morgen und Übermorgen im Blick behalten und meine Wurzeln nie vergessen.
Ich wünschte ich hätte eine Glaskugel und könnte mir selbst vorhersagen, was die Zukunft bringt. Fakt ist, ich weiß es nicht. Aber im Vertrauen auf mich selbst, mit all den wunderbaren Menschen um mich herum, mit den Chancen und den Möglichkeiten, die sich mir bieten, wird es sicher gut werden. Wenn es nicht gut wird, dann muss ich eben weitermachen. Seit meinem ersten Crew Ressource Management Training damals sind fast genau 23 Jahre vergangen. Es war ein weiter weg bis hierher. Diese 252 Kilometer von Maastricht zurück nach Hünstetten wirken im Vergleich dazu wie ein winzig kleiner Schritt. Es gab Durststrecken und Momente des Überflusses. Niemals aufzugeben hat sich in jedem Fall gelohnt, niemals aufzugeben und den Mut zu haben, ich selbst zu sein, meinen Weg zu gehen und eben nicht einfach anderen zu folgen.
Als ich das Auto schließlich auf den Parkplatz vorm Haus abgestellt habe und der Motor aus war, war da plötzlich Stille. Draußen schneite es ganz leise. Ich bin einfach noch einen Moment sitzen geblieben und wie aus dem nichts kam in mir diese eine Frage hoch, die ich schon damals mit Papa im Krankenhaus diskutiert habe: Wofür das ganze? Was ist der Sinn dieses Lebens? Wirklich keine leichte Frage. Ich erinnerte mich an ein Buch, das diese Frage auf eine Art und Weise beantwortete, die so ganz anders war, als alles das, was ich mir zuvor im Kopf zurechtgelegt hatte. Aber dazu mehr in nächsten Blog. Der Sinn des Lebens ist das vielleicht schönste Thema für einen Blog pünktlich zu Weihnachten.
Genießt die Vorweihnachtszeit.
Eure Constance
PS: Und glaubt mir, nicht nur während meiner Autofahrt nach Maastricht und zurück habe ich mehr als einmal gedacht, dass sicher gleich der Wecker klingelt: Es ist drei Uhr am Morgen. Ich ziehe meine blaue Uniform an und fliege nach Palma… Alles nur ein Traum…