Der Sinn des Lebens - Ein Weihnachts-Blog
Zeit inne zu halten?
Der Sinn des Lebens! Worüber könnte ich heute, am Heiligen Abend sonst schreiben? In meinem letzten Blog habe ich Euch mit auf meine rastlose Reise durch mein kleines Leben genommen. Ich habe Euch erzählt wie schnell und wie stetig sich meine Welt dreht. Keine Zeit inne zu halten! Aber es gibt diese Hand voll Tage, an denen meine kleine Welt stillsteht, an denen ich mir Zeit nehme, Zeit zu reflektieren, Zeit mich zu fragen wofür das Ganze! Was ist der Sinn meiner, Eurer, unserer Existenz? Ein gigantisches, fröhliches, erschreckendes, trauriges, erfolgreiches, verrücktes, schockierendes Jahr geht langsam zu Ende. Und die Frage muss erlaubt sein: Wofür das alles? Du wirst geboren, Du isst und trinkst und schläfst und rennst und lachst und weinst und zack ist alles auch schon wieder vorbei. Was ist der Sinn? Es ist Weihnachten, ich mache eine kurze Pause und denke nach.
Das ein oder andere Konzept
Auf meiner Suche nach dem Sinn bin ich über so einige Konzepte gestolpert. Ich suche ja auch schon eine Weile. Manche haben mir besser, andere weniger gut gefallen.
Aus evolutionärer oder biologischer Perspektive betrachtet, ist mein Leben ganz und gar sinnlos, denn ich habe es eindeutig versäumt, meine Gene an die nächste Generation weiterzugeben. So gesehen wird von mir nichts übrigbleiben. Ich bin hier, verbrauche Ressourcen und doch werde ich nichts hinterlassen. -Ganz und gar sinnlos!
Schau ich auf meine wunderbaren Stiefkinder glaube ich jedoch nicht, dass so gar nichts von mir übrig bleibt. Ich bin mir sicher, es gibt Momente, die Laura und Daniel in ihren Herzen abgespeichert haben, die sicher deutlich länger Teil dieser Welt bleiben, als ich. Erst letztes Wochenende haben wir über diesen einen Urlaub in Amsterdam gesprochen… Das Lachen und die Liebe bleibt in ihren Herzen und ich bin mir sicher, sie werde beides irgendwie weitergeben. Was ist da schon Genetik? Liebe ist doch so viel mehr!
Mein Papa hielt es mit dem Sinn des Lebens wie Aristoteles: „Sein Leben hat nur Bedeutung, wenn er versucht etwas zu erreichen und nach seinen Zielen strebt.“ Für meinen Papa war der Sinn des Lebens, das Ziel seines Lebens, seinen Geist immer weiter zu entwickeln. Es war unglaublich wichtig für ihn, stetig zu lernen. Wissen war sein Sinn, sein Purpose. Er wollte begreifen und verstehen. Das gab er auch sehr konsequent an uns Kinder weiter. Es gab Momente, in denen habe ich es gehasst, heute glaube ich fest daran, dass das der Grundstein für meine Neugier war. Dann wurde Papa krank und es wurde sehr bald deutlich, dass er diese Krankheit nicht würde besiegen können. Er würde nicht gesund werden. Wie geht man damit um, wenn man seine eigene Endlichkeit so gnadenlos vor Augen geführt bekommt? Eine Weltreise, nochmal etwas ganz besonders tun, die Bucket List abhaken? Papa hat sich für Alltag und Normalität entschieden. Offensicht war es der Alltag, den er bewusst erleben wollte. Nichts hatte für ihn einen größeren Zauber, mehr Sinn. Ich erinnere mich an unser letztes Weihnachten. Am Morgen des Heiligen Abend hatten wir uns mal wieder gestritten. Wir waren und sind recht meinugsstabil! Das sorgt immer mal wieder für hitzige Diskussionen. Papa stand mit Tränen in den Augen vor meiner Tür und hat mich gebeten einfach nur Weihnachten zu feiern. Es war ein ganz normales, unspektakuläres Weihnachten. Alles wie immer und trotzdem so wertvoll. Ähnlich war es mit meiner Freundin Tracey: Der Krebs tobte schon überall in Tracey Körper, als wir nochmal einen Tag gemeinsam verbringen wollten. Es war kein außergewöhnlicher Tag. Wir waren an Orten, die wir nur zu gut kannten, schließlich gab es Wein und Käse in einem Weingut, in dem wir schon so oft waren und zum Abschluss haben wir einen Sonnenuntergang genossen, wie wir ihn schon so oft genossen haben. Noch ein Glas Wein, eine letzte Umarmung… Ein Tag voller Zauber, voller Zauber des Normalen! Ist das Normale also der Sinn? Geht es vielleicht um den Moment und um die Menschen mit denen wir diesen Moment teilen? Ist das der Sinn?
In meinem beruflichen Umfeld spielt das Thema Purpose immer wieder eine zentrale Rolle. Was ist unser Purpose? Unser Sinn, der wie ganz selbstverständlich häufig eng mit einem Ziel verknüpft ist. Aber ist das Ziel wirklich der Sinn? Habt Ihr ein Lebensziel? Ich habe natürlich eines. Aber was ist, wenn ich aus welchen Gründen auch immer mein Ziel nicht erreiche? Was wenn mir die Zeit fehlt, oder mein Ziel zu groß ist? Wird mein Leben dann sinnlos gewesen sein? In einer ganz und gar zielversessenen Gesellschaft erscheint das Leben oft linear, wie eine Art Lebenslinie, ausgerichtet auf dies und das. Was aber wenn unser Leben gar keine Linie ist, sondern eine Aneinanderreihung einzelner Punkte, einzelner Momente, jeder für sich mit Sinnhaftigkeit gefüllt? Ich glaube nicht, dass es um ein Ziel geht, dessen Erreichung mit so vielen Faktoren und einer guten Portion Glück zusammenhängt. Ja, ich habe meinen Purpose. Aber ist das mein Sinn? Bin ich hier um ein Ziel zu erreichen? Ich erinnere mich an dieses letzte große Gespräch mit meinem Papa, damals auf dem Krankenhausflur. Ich haben ihm versucht zu erklären, dass der Sinn für mich unabhängig vom Ziel sei. Leider fehlten mir damals noch die passenden Worte, die das was ich spürte beschreiben konnte. Ich habe meinem Papa versucht von all den einzelnen Punkten zu erzählen, die für mich Sinn ergaben. Ich habe ihm versucht zu erklären, dass mein Lebenssinn all die zauberhaften Momente sind, die ich mit anderen Menschen teilen konnte… -Jede wilde Party, jedes gemeinsame Erlebnis. Mein Leben damals bestand daraus, Menschen kennenzulernen, Verbindungen einzugehen und gemeinsam unvergessliche Momente zu schaffen, die auf ewig in unseren Herzen bleiben. -So wie damals im Familienurlaub in Amsterdam!
Alfred Adler, der Psychologe der zum Philosophen wurde
Auf der Suche nach Worten, die meinen Sinn des Lebens bestmöglich beschreiben, bin ich vor einigen Jahren schließlich bei dem österreichischen Psychologen Alfred Adler fündig geworden. Der Begründer der Individualpsychologie, dessen Ansätze Einfluss auf so große Geister wie Viktor Frankl und Abraham Maslow hatten, entwickelte im Laufe seines Wirkens zunehmend auch einen geradezu philosophischen Anspruch. In seinem späten Werk “Der Sinn des Lebens”, das 1933 erschien, beschreibt Adler zwei unterschiedliche Bedeutungen des Sinns. Zum einen beschreibt er den Sinn, den ein Mensch in seinem Leben sucht und sicher auch findet und der sehr eng mit dem Selbstbild und den eigenen Meinungen und Perspektiven, aber auch mit den Meinungen und Perspektiven der anderen zusammenhängt. - Papas Verständnis, dass wir auf dieser Welt sind, um unseren Geist stetig weiterzuentwickeln, oder mein Purpose. Dieser Sinn ist recht greifbar, quasi “SMART”, kann deshalb aber auch verfehlt werden. Die KPIs unseres Lebens! -Ganz in Aristoteles‘ Sinn.
Die zweite Bedeutung hinter dem Sinn des Lebens beschreibt Adler als den “wahren” Sinn. Dieser Sinn liegt laut Adler jenseits von Erfahrungen oder Meinungen und kann deshalb auch nicht verfehlt werden. Jedoch muss man aufpassen, dass man ihn bei all dieser rastlosen Rennerei, die unser Leben heute oft mit sich bringt, nicht übersieht.
“Nach einem Sinn des Lebens zu fragen hat nur Wert und Bedeutung, wenn man das Bezugssystem Mensch-Kosmos im Auge hat.” A. Adler
Die Anforderung des Kosmos an die Menschheit ist für Adler die stetige Entwicklung, und zwar die stetige gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer idealen, friedlichen und gerechten Gesellschaft der Zukunft, ganz nach dem Kant’schen Ideal. Und wie kommen wir dort hin? -In dem wir in Verbindung gehen, uns bewusst als Teil einer Gesellschaft sehen und unser Tun auch immer im gesellschaftlichen Kontext betrachten. Es geht nur gemeinsam! Dieses Mantra der New Work Bewegung ist so alt wie die Menschheit selbst und ist laut Adler eben der wahre Sinn des Lebens. Was das bedeutet: Ich liebe und ich werde geliebt! -Der Sinn des Lebens! Die Basis dafür ist laut Adler übrigens Selbstliebe, oder wie er es beschreibt: Die Überwindung unserer angeborenen Minderwertigkeitskomplexe.
Du liebst und Du wirst geliebt! - Das ist was wirklich zählt
So sitze ich also hier, am Morgen des Heiligen Abends. Im Radio läuft John Lennon. - War is over if you want it, war is over now… Wie weit entfernt könnten wir als Gesellschaft dieser Tage vom Kant’schen Ideal sein? - Ukraine, Afghanistan, Iran, Äthiopien… Und all der Hunger, der Hass, all die Ungerechtigkeiten, die mangelnde Nachhaltigkeit, die sterbende Natur… Aber Adler sagte ja ganz klar, es gehe nicht darum, diese Gesellschaft zu sein, sondern sich Schritt für Schritt zu eben dieser Gesellschaft zu entwickeln. Die Benchmark ist die Entwicklung selbst! Und wenn ich meine Augen und mein Herz öffne, sehe ich überall auch sehr viel Solidarität und Zusammenhalt, Menschen, die anderen Menschen die Hand reichen und so für wunderschöne Momente, einzelne kleine Punkte auf unserer Reise durchs Leben, sorgen.
Ich wünsche Euch und Euren Liebsten wunderschöne, friedliche Weihnachten. Schafft Euch zauberhafte Momente, schöne Erinnerung und gebt Euren Leben so den wahren Sinn im Adler’schen Gedanke. Geht in Verbindung mit anderen, ob im kleinen Kreis, oder im großen und macht die Welt so ein wenig glücklicher.
Ich werde heute nur sehr klein feiern, den Abend genießen, aber auch all die leeren Stühle an meinem Tische betrachten und all die wertvollen Erinnerung der Vergangenheit wieder in mein Bewusstsein rufen. So viele zauberhafte Punkte! Und morgen wird dann groß gefeiert, mit Familie und vor allem mit vielen Freunden, die ich zum Teil schon aus Kindertagen kenne und die nun ihre eigenen Kinder mitbringen. Ich bin in Verbindung. Überall finde ich helfende Hände und ich selbst reiche meine eigene Hand wann immer ich kann. So wird jeder Tag sinnvoll und wertvoll. Was braucht es da noch an größeren Zielen?
Du liebst und Du wirst geliebt und das ist der Sinn…
Frohe Weihnachten.
Eure Constance