Der Agile Coach, der keiner ist, aber verrückt genug ist, als solcher arbeiten zu wollen! -Über die Macht der eigenen Ressourcen und Kompetenzen
Der Agile Coach, der keiner ist, es aber trotzdem einfach tut…
Der geneigte Stammleser hat ja zwischenzeitlich sicher mitbekommen, dass ich mich ab Januar beruflich auf komplett neue Füße stellen werde. Noch nicht erzählt habe ich euch, was ich zukünftig mit meiner Arbeitskraft vorhabe: ich werde als Agile Coach arbeiten. Das Verrückte ist, dass ich gar kein Agile Coach bin. Darüber darf ich gar nicht zu genau nachdenken, nicht, dass ich auf den letzten Drücker doch noch auf die Idee komme, zu glauben, dass ich das, was ich machen werde, gar nicht kann!
Wie um alles in der Welt kommt man also dazu, als etwas arbeiten zu wollen, das man gar nicht ist! Ganz einfach: man entscheidet sich einfach das zu tun, was man kann, weil man sich seiner Fähigkeiten und Ressourcen bewusst ist! Für mich war das ein großer Schritt, da ich mir eigentlich immer eher dessen bewusst war, was ich alles (noch) nicht kann! Mitte November hatte ich dann jedoch einen echt hellen Moment, den sich jeder von Zeit zu Zeit gönnen sollte. Aber ich fange mal von vorne an…
Hilfe, kein Toilettenpapier…
Damals, als Corona gerade angefangen hat, um sich zu greifen und ich noch fest daran glaubte, dass dieses Virus so schnell wieder verschwindet, wie seinerzeit das Toilettenpapier aus den Regalen unserer Supermärkte, hatte ich eines dieser Gespräche mit meiner Kollegin, Chefin, Mentorin Annette. Nachdem ich nun einige Jahre von einer Weiterbildungsmaßnahme zur nächste gestolpert bin, fragte sie mich eher beiläufig, wo ich denn mit all diesen Zertifikaten hinmöchte und meinte schließlich, dass man irgendwann auch mal schauen muss, was man denn alles schon kann und was man damit anfangen möchte. Ja, stimmt schon, ABER die und die Weiterbildung müsste ich doch noch dringend machen, weil ich ja wie so oft das Gefühl hatte, noch immer nicht gut genug zu sein. Zunächst verpuffte das Gespräch zwischen Corona, Kurzarbeit und wilden Plänen meinerseits.
Die Rückkehr des Toilettenpapiers
Das Toilettenpapier kehrte schließlich langsam aber sicher wieder in die Supermarktregale zurück. Blöderweise war das Virus noch immer da und ich hatte in Folge mehr Zeit als mir lieb war, um über Annettes Worte nachzudenken! Als erstes musste ich mir die Frage stellen, wohin die Reise für mich gehen sollte. Eine Antwort war recht schnell gefunden: was mich am meisten berührt und antreibt, ist das Menschenbild, dass ich als Human Factors Trainer in der Luftfahrt kennenlernen durfte. Der Mensch ist der Schlüssel zum Erfolg unserer Systeme und dabei ist jeder Akteur gleichermaßen wertvoll und macht so das Team zum Star! Wundervoll! Mit diesem Leitbild möchte ich unbedingt weiterhin durchs Leben gehen. Außerhalb der Luftfahrt ist mir ein vergleichbares Mindset immer wieder in agilen Strukturen begegnet und irgendwie wuchs in mir der Wunsch, mich in Richtung agiles Coaching weiterzuentwickeln. Die alte, stets vom Weiterentwicklungswahn getriebene Constance hätte sich an dieser Stelle eine berufsbegleitende Ausbildung zum Agile Coach gesucht, weil sie natürlich gedachte hätte, keine Ahnung zu haben und deshalb alles von die Pieke auf lernen zu müssen. Allerdings hallten in meinem Kopf schließlich die Worte meiner Chefin wider und ich entschied mich dazu, zu schauen, was ich schon alles kann, um danach zu schauen, was mir noch fehlt, um mein Ziel zu erreichen. Das war eine für mich eher ungewohnte Herangehensweise und ich gebe zu, ich habe erstmal Meister Google gefragt, was in Zeiten der um sich greifenden Digitalisierung ein völlig probates Mittel ist. Tja, und was soll ich sagen, Meister Google hat geholfen, in dem er mir das Agile Coaching Competency Framework von Lyssa Adkins auf mein Handy gespült hat. Ich hatte nun also eine Auflistung aller Fähigkeiten, die ein Agile Coach mitbringen sollte und musste im Prinzip nur noch abgleichen. Dabei stellte ich fest, dass ich die meisten Punkte ganz entspannt für mich abhaken konnte:
Coaching - Haken dran!
Facilitating, was in diesem Zusammenhang bedeutet, Teams als neutraler Begleiter und Moderator durch alle möglichen Prozesse zu begleiten. - Hey, ich bin Mediator und Moderator! Dicker fetter Haken dran!
Teaching - noch dickerer Haken dran!
Mentoring - ich mache seit Jahren Supervisionen! Also noch einen Haken dran!
Transformation Mastery, also Change Management - hmmmm, große Transformationsprozesse in großen Organisationen habe ich noch nicht initiiert, aber wenn ich an dieser Stelle großzügig das Thema “Organisationsgröße” ignoriere und mich nur frage, ob ich Erfahrung im Begleiten von Veränderungsprozessen auf Human Factors Ebene habe, würde ich mir auch hier ein Häkchen dran machen.
So waren auf der Haben-Seite schließlich fünf Haken zu finden. Allerdings musste ich feststellen, dass noch drei offene Punkte übrig waren, die es sich anzuschauen gilt:
Technical Mastery - klares deutliches Nein! Wobei ich mir bis heute die Frage stelle, wie tiefgreifend meine Technical Mastery als Coach am Ende sein muss. Ich werde kein Entwickler sein. Klar würde ich sicher Verständnis für bestimmte Prozesse benötigen. Aber hey, ich schule Piloten im Human Factors Bereich (und das mache ich, wie ich finde, verdammt gut) und kann selbst keine Flugzeuge fliegen. Also habe ich entschieden, an dieser Stelle etwas Mut zur Lücke haben zu dürfen. Ich werde schon lernen, was ich wissen muss…
Business Mastery - kommt halt aufs Business an…
Agile Practitioner - klares Nein! Hier stellte sich mir die Frage, wie ich denn zu einem Agile Practitioner werden könnte. Also wieder Meister Google fragen! Nach etwas Recherche stolperte ich über Scrum als agiles Framework. Davon hatte ich bereits gehört und auch über die Rolle des Scrum Masters habe ich schon gelesen, weil sie mir als Moderator, Mediator, Trainer und Teamentwickler irgendwie recht nah schien. Die Frage, die daraus resultierte, war, wie ich Scrum Master werden könnte, wie das mit der Zertifizierung abläuft und ob ich das hinbekomme. Es stellte sich heraus, dass sich dieser Weg selbst unter Corona-Bedingungen recht einfach gestaltet und so nutzte ich meine viel zu viele Freizeit, um “remote” zu lernen und um schließlich auch meine Prüfung zum Professional Scrum Master zu machen.
Und wieder kein Toilettenpapier…
So wurde es Herbst in Deutschland, das Toilettenpapier wurde wieder knapper und ich habe festgestellt, wie recht Annette hatte: lebenslanges Lernen ist großartig, aber bitte mit Sinn und Verstand und nicht weil man glaubt, noch nicht gut genug zu sein. Ich denke, die meisten von uns können so viel mehr, als sie sich eingestehen. Deshalb soll dieser Blog auch ein klein wenig ein Aufruf sein, euch eure Kompetenzen und Ressourcen bewusst zu machen. Das ist weder arrogant, noch überheblich. Es tut einfach nur gut und in meinem Fall hat das sogar Ordnung und Struktur in mein Leben und mein Selbstbild gebracht… -So viel Ordnung und Struktur, dass ich jetzt alles auf den Kopf stelle! Aber vielleicht liegt das ja nur daran, dass man seine Ressourcen auch nutzen möchte, wenn sie einem erstmal bewusst sind!
Und aus dem Condor wird eine Löwin
So dreht sich die Welt immer weiter und manchmal passieren die Dinge genau zum richtigen Zeitpunkt. Hätte ich nur ein halbes Jahr früher die Möglichkeit gehabt, als Agile Coach zu arbeiten, hätte ich sie wahrscheinlich nicht ergriffen, weil ich mir gesagt hätte, du kannst ja nicht als etwas arbeiten, das du formal gar nicht bist. Im November war mir schließlich und endlich klar, dass es nicht nur um Formalitäten geht, sondern auch um das Vertrauen in die eigenen Ressourcen und Kompetenzen. Deshalb sag ich jetzt tschüss zu meinen Flugzeugen und der guten alten Condor, die mir so lange ein tolles Job-Zuhause war. Denn ab Januar werde ich Löwin. Ist ja auch irgendwie cool Es ruft also das Haus des Geldes, ich wechsle in die Finanzbranche und werde zukünftig für die Bank mit dem Löwen arbeiten! Über das Thema Business Mastery denke ich an dieser Stelle besser nicht nach! Eigentlich kann ich ja nur Flugzeuge, aber das wird schon. Ich lerne ja gerne dazu und bin offen für Neues!
Eure Constance