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Aller Anfang ist schwer? - Wirklich schwer ist es, rechtzeitig aufzuhören!

Onboarding die Sechste

Meine Reise in die Welt von Finance und IT geht weiter und weiter und ja, aller Anfang ist schwer, definitiv! Aber wisst ihr was ich letzte Woche beobachtet habe? Neben dem Fakt, dass (Neu-) Anfänge immer schwer sind, habe ich festgestellt, dass es gefühlt noch viel schwerer ist, mit Altbekannten aufzuhören, den Absprungs zu finden und das Alte loszulassen. Das habe ich in der letzten Woche nicht nur an mir selbst beobachtet, sondern auch an meinen Kollegen, den neuen wie den alten, im Freundeskreis, den Nachrichten, einfach überall. Offensichtlich klammert sich der Mensch recht gerne an Altbekanntem fest. Der Spatz in der Hand ist natürlich besser als die Taube auf dem Dach und was man hat, hat man eben! Derartige Sprüche sind so alt wie die Menschheit und das damit zusammenhängende Verhalten ebenso.

Ihr kennt sicher Goethes Faust. Mein absolutes Lieblingsdrama. Ein unfassbares Meisterwerk, dass den Menschen so vortrefflich beschreibt und einige Zitate daraus sind für die Ewigkeit. Ihr kennt das mit den zwei Seelen, die ach! in meiner Brust wohnen. Wir alle wissen, dass die eine sich von der anderen trennen will. “Die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andre hebt gewaltsam sich von Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.” So weit so gut! Wirklich spannend (und weitaus weniger bekannt) ist wie es jetzt weitergeht:

So sprach es Faust und lässt damit tief blicken: da ist jemand, der unzufrieden mit dem ist, was er tut, aber anstatt aktiv zu werden, seinen Hintern hochzubekommen und sein Leben substanziell zu ändern, wartet der feine Herr auf Geister, das Schicksal, den Zufall, ein Silbertablett oder den roten Teppich. Nur um nicht aus eigenem Antrieb sein altes Leben hinter sich lassen zu müssen, verkauft der gute Faust seine Seele lieber an Mephisto, den Teufel. Wie das ausgegangen ist, hat sich rumgesprochen. -Und alles nur, weil der kluge Dr. Faust unbedingt jemanden brauchte, der ihm das Händchen hält und für ihn mit dem alten Leben Schluss macht. Auch dem armen Gretchen wäre so einiges erspart geblieben…

Sicherheitsbedürfnis und Veränderungslust

Seit dem Erscheinen von Goethes Faust im Jahr 1808 ist schon eine Menge Wasser den Rhein runtergeflossen und man könnte meinen, die Evolution hätte die ein oder andere Möglichkeit gehabt, den Menschen weiterzuentwickeln. Leider scheint dem mit Nichten so. Wir Menschen stellen unser Sicherheitsbedürfnis noch immer über alles und raus aus der Komfortzone erscheint geradezu verrückt. Manchmal sind wir Menschen sogar lieber unglücklich, als dass wir uns trauen, unser gewohntes Terrain zu verlassen. Klar, damals in der Höhle, da gab es sicher einige ganz besonders mutige und abenteuerlustige Urmenschen, die mit dem Mut-Gen ausgestattet neugierig von den bekannten Pfaden abgewichen sind. Leider wurden die wahrscheinlich alle von Säbelzahntigern gefressen oder haben sich verlaufen und konnten ihre Gene nicht mehr weitergeben. Übrig geblieben sind ausgesprochen vorsichtige und konservative Urmenschen, deren Verhaltensweisen in dieser alten, gefährlichen und wenig komplexen Welt ausgesprochen erfolgreich war. Säbelzahntiger gibt es aber nicht mehr, Verlaufen ist dank Navi und Handy auch kein Thema mehr und auch mit “fremden” Stämmen schlagen wir uns nicht mehr ständig gegenseitig die Köpfe ein (wobei, hier scheinen gewisse Entwicklungen gerade wieder rückläufig). Das sind die guten Nachrichten. Irgendwie scheint die Welt deutlich sicherer als damals in der Steinzeit. Unsere moderne Welt ist aber auch deutlich komplexer und dynamischer geworden und stellt uns Menschen vor ganz neue Herausforderungen. Denn was früher Lebensgefahr bedeutete, ist heutzutage eine wichtige Voraussetzung für Erfolg und Zufriedenheit. Und so stehen wir da, wie seinerzeit der gute alte Dr. Faust, mit zwei Seelen, die in unserer Brust wohnen. Die eine klammert sich in tiefstem Sicherheitsbewusstsein an Altbekanntem fest, denn der Spatz in der Hand… - Ihr wisst Bescheid! Zum Glück ist da ja noch diese andere Seele, die neugierige, die begriffen hat, dass sich unsere Welt inzwischen so schnell dreht, dass der Spatz in der Hand auch ganz schnell an Wertigkeit verlieren kann. Klar kann man das jetzt so machen wie Faust und warten, bis jemand kommt, der diese Seele an die Hand nimmt und ihr raus hilft aus der alten, bekannten Routine, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich weiterzuentwickeln. Aber was ist, wenn dieser Jemand nie kommt, oder wenn es der Teufel ist?

Auf der Suche nach den eigenen Ressourcen

Wenn wir nun also entscheiden, nicht auf den Teufel zu bauen, braucht unsere ängstliche, neugierige Seele eine andere Hand, die ihr die Sicherheit gibt, die sie braucht, um ihre Komfortzone zu verlassen und sich auf neue Wege zu begeben. In der letzten Woche hatte ich gleich mehrere Gespräche über Ressourcen, die wir alle in uns tragen und die es sind, die uns erfolgreich machen, wenn, ja wenn wir uns erstmal darüber bewusst sind, dass wir sie haben. Als ich im letzten Herbst angefangen habe darüber nachzudenken mit der Fliegerei aufzuhören, war eine sehr präsente Frage die, ob ich den neuen Aufgaben denn überhaupt gewachsen sei und ich habe mich vielleicht zum allerersten Mal in meinem Leben wirklich damit beschäftigt, was ich alles kann, worin ich gut oder sogar sehr gut bin, sprich auf welche Ressourcen ich mich verlassen kann, wenn ich meine sichere Komfortzone verlasse um mich auf bislang unbekannte Wege zu begeben. Das war mein Mephisto, der mich an die Hand genommen hat, mir Sicherheit und Vertrauen gegeben hat, ganz ohne, dass ich dafür meine Seele verkaufen musste.

Und wenn ein ganzes Unternehmen entscheidet aufzuhören um neu anzufangen?

Wisst ihr, was wirklich verrückt ist? Mein neuer Arbeitgeber ist im Prinzip in der gleichen Situation, wie ich es bin. Mit der agilen Transformation hat man dort auch entschieden, die bekannten Pfade zu verlassen. Man hat den Spatz in der Hand losgelassen, weil man sich bewusst darüber war, dass die Welt sich immer schneller dreht und man verstanden hat, dass Spatzen in absehbarer Zukunft einfach nicht mehr ausreichend sind. Diese Entscheidung war sicher nicht einfach, aber man hat es geschafft, rechtzeitig mit dem Alten aufzuhören, um in der Weiterentwicklung und somit eben auch auf Erfolgskurs zu bleiben.

Im Rahmen solcher agilen Transformationen stellt sich natürlich auch die Frage nach den Ressourcen. Die Antwort darauf ist recht einfach! Ich zitiere mich hier mal selbst: der Mensch ist und bleibt der Schlüssel zum Erfolg komplexer Systeme. So wie ich mir gerade täglich Gedanken darüber mache, ob und wie ich meine Ressourcen bestmöglich nutzen kann, sind (agile) Unternehmen gut beraten, alles nur Mögliche zu tun, ihren Mitarbeitern Strukturen und eine Unternehmenskultur zu bieten, die es jedem einzelnen ermöglichen, ihr oder sein gesamtes Potenzial abzurufen. Hierbei braucht es auch Vertrauen und Sicherheit auf allen Seiten: Manager werden plötzlich zu Servant Leader, die ihren Mitarbeitern ganz viel Autonomie und Freiraum geben sollen, was vor allem bedeutet, ihnen zu vertrauen. Und die Mitarbeiter brauchen ihrerseits großes Vertrauen, um diesen Freiraum zu nutzen, um kreativ zu sein, neue Wege zu gehen. Denn an dieser Stelle könnte ich nochmals aus Goethes Faust zitieren: “Es irrt der Mensch so lang er strebt.” Wer Menschen Raum gibt, Neues auszuprobieren, der muss auch damit rechnen, dass nicht alles zu einem großen Erfolg wird. Legt der Mensch erstmal los, sind Fehler schlicht und ergreifend systemimmanent, unvermeidbarer Teil eines für agile Unternehmen erforderlichen Lernprozesses, den die Harvard-Professorin Amy Edmondson als Lernende Organisation beschreibt. Als Mitarbeiter brauche ich die Sicherheit, auch Fehler machen zu dürfen, um daraus zu lernen, weil sie unvermeidbar sind, wenn ich die altbekannten Flugrouten der Spatzen in unseren Händen verlasse.

Der Aufbau dieses Vertrauens, sowohl innerhalb eines Unternehmens, als auch zu sich selbst, ist ein Prozess, der Zeit braucht und ist abhängig von den Erfahrungen, die man macht und natürlich ist und bleibt jeder einzelne Schritt, auch in einem agilen Unternehmen, eine Risikoabwägung. Wie agil wollen wir sein und wie agil müssen wir sein? Ja, mehr Agilität kann zunächst auch eine höhere Fehleranfälligkeit bedeuten. Die Anzahl dieser Fehler können nur durch High Performance Teams minimiert werden und für High Performance braucht es Vertrauen. Ich als Agile Coach sehe es als meine Aufgabe, dabei zu helfen, dieses Vertrauen und die damit zusammenhängende Offenheit nach Kräften zu fördern und zu unterstützen um aus der Sicherheit dieses Vertrauens Schritt für Schritt immer autonomer und agiler werden zu können. Dazu muss man eben auch Risiken eingehen. Ein sehr kluger Mann hat mal gesagt, dass der sicherste Ort für Schiffe der Hafen sei! Aber dafür sind Schiffe nun mal nicht gemacht. Oder um es in meiner “alten” Sprache zu sagen: die sicherste Airline ist die, die nicht fliegt. Tja, um nicht nur total sicher, sondern auch (wirtschaftlich) erfolgreich zu sein, muss man etwas riskieren! - Jeder einzelne von uns ebenso wie jede Organisation!

Offen für Neues

Das ist eine wirklich spannende Reise, auf der ich mich gerade befinde. Alles scheint sich langsam aber sicher ganz natürlich zu fügen. So gesehen ist der Anfang gar nicht so schwer, stressig ja, schwer nein! Was wirklich schwer war, war das Alte, Sichere, Liebgewonnene loszulassen, obwohl einem Teil von mir schon lange klar war, dass er sich unbedingt weiterentwickeln möchte, raus aus der Komfortzone, die für mich ehrlichgesagt nämlich nicht nur Sicherheit, sondern auch Langeweile bedeutet hat. Aber auch das muss man erstmal für sich erkennen. Nur für den Fall, dass es euch ähnlich geht, schaut doch auch mal, ob das Vertrauen in euch selbst, in eure Ressourcen und Fähigkeiten, euch vielleicht auch die Sicherheit geben kann, um aus der Komfortzone zu treten und offen für all das Neue zu sein, dass auf euch zukommt.

Eure Constance